Es war – wenn ich mich recht erinnere – Ende der 70er-Jahre, als mich in Mandalay einmal die Langeweile überkam: Mandalay Hill zum x-ten Male bezwungen, Wasserbüffel und Pfahldorf am Irrawaddy – alles alte Hüte. Da kam mir die Idee, mit dem Zug nach Maymyo zu fahren. Ich hatte so viel gehört von der Zickzackfahrt hinauf in die Hill-Station, dass ich mich selbst von mehr als sechs Stunden Fahrzeit für die paar Kilometer nicht abschrecken ließ.
Es gibt ja in Myanmar viele heruntergekommene Eisenbahnwaggons (vor allem auf den Nebenstrecken, aber nicht nur dort …), aber dieser hier war schon speziell! Fußboden und Dach hatten riesige Löcher, durch die man wahlweise das Gleisbett oder den bewölkten Himmel betrachten konnte. Mit zweistündiger Verspätung verließ der Zug den Bahnhof von Mandalay und keuchte die Strecke hinauf. An Bord waren überwiegend Bäuerinnen, die offenbar ihre Waren auf dem Markt verkauft hatten und nun mit wohl gefüllten Geldbeuteln zurück nach Maymyo fuhren. Der Zug stoppte recht oft und an einer Station stiegen zwei Männer ein, die eine riesige, anscheinend sehr schwere Holzkiste in den Waggon wuchteten. Kaum hatten wir den Bahnhof verlassen, sprang einer der beiden auf die Kiste und pries mit lauter Stimme wild gestikulierend kleine braune Fläschchen an, auf deren Etikett eine Schlange abgebildet war und die vermutlich Volksmedizin enthielten. Welche vor allem die ‚Jungle Burmans‘, wie man die Dorfbewohner früher nannte, gern zu sich nehmen, bevor sie dann letztendlich doch zum Arzt gehen. Seien es in Alkohol konservierte Tausendfüßler und Skorpione oder Produkte, wie man sie auf dem Weg zum Goldenen Felsen kaufen kann: Hirschpenisse, Pangolinschuppen und weiß der Himmel, was noch.
Zum Leidwesen des Mannes auf der Kiste hielt sich das Interesse in Grenzen: Die Leute waren müde, vermutlich waren sie seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen. Der Mann steigerte seine Lautstärke und sein Sprechtempo, aber es änderte sich nichts: Keiner war an seinen Waren interessiert! Da gab er seinem Helfer ein Zeichen. Der öffnete eine mir bisher nicht aufgefallene Klappe an der Kiste, griff hinein – und zog eine gut drei Meter lange, dicke Pythonschlange heraus! Ich traute meinen Augen nicht! Er hielt sie grinsend hoch und dann legte er sie auf den löcherigen Boden und die Schlange kroch davon. Die Leute gerieten in Panik!
Viele schrien, einige Frauen begannen zu weinen und manche sprangen auf die Sitzbänke oder versuchten, aus dem Waggon zu entkommen. So mancher dachte wohl, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Ich glaube, ich war der Einzige, der sitzen blieb, denn ich konnte mir nun wirklich nicht vorstellen, dass die Schlange mich angreifen würde. Missbilligend musterte ich den Mann, aber er kümmerte sich nicht die Bohne um den komischen Ausländer, der ihm sein Geschäft verderben wollte. Die Leute flehten ihn an, doch bitte, bitte die Schlange wieder in die Kiste zu legen! Mit einem Lächeln kam er dem Wunsch nach und dann lief der Verkauf wie geschmiert.
Ich erinnere mich bis heute an die quietschende Fahrt über die engen Kurven. Das Highlight waren die Spitzkehren: Der Zug kroch eine Strecke bergauf und blieb mit kreischenden Bremsen stehen. Viele Passagiere schlugen sich in die Büsche, um sich zu erleichtern. Derweil schlenderte ein Mann zur nächsten Weiche und legte den Hebel um. Der Zug ruckte an und fuhr in Gegenrichtung bergauf. Verfolgt von Passagieren in wehenden Longyis, die es nicht geschafft hatten, ihr Geschäft rechtzeitig zu beenden. Und tatsächlich, irgendwann hatten wir das Shan-Plateau erreicht. Der Zug rumpelte noch eine mir endlos lang erscheinende Zeit über die ausgeleierten Gleise, aber schließlich kamen wir in Maymyo an – mit drei Stunden Verspätung. Es war schon dunkel und bereits auf dem Bahnsteig trottete ein Inder auf mich zu. Er wackelte mit dem Kopf und fragte in ganz passablem Englisch, wo ich denn unterkommen würde. Ich antwortete: ‚Candacraig – what else?‘. Wir feilschten ein wenig um den Preis und dann verließen wir das Bahnhofsgebäude.
Auf dem Vorplatz erwartete mich eine Überraschung: Er führte mich zu einer Pferdekutsche, die offenbar ihren Weg aus Laramie hierher gefunden hatte. Ich staunte nicht schlecht. Aber es war nicht die Einzige! Eine ganze Reihe dieser altertümlichen Gefährte wartete dort auf Passagiere. Ich stieg ein und ab ging die Post durch spärlichst erleuchtete Straßen.
Die Kutsche war furchtbar unbequem. Jedes Mal, wenn wir durch ein Schlagloch fuhren, stieß ich mir den Kopf. Nach einer gefühlten Stunde erreichten wir unser Ziel: das Candacraig Hotel! Die Hotel-Legende von Burma! Die ehemalige Chummery der Bombay-Burmah-Trading Company! Hier hatte bereits George Orwell gewohnt und wer weiß, wer noch alles. Und stand da nicht der legendäre Mr. Bernard, bekannt aus Paul Therouxs Buch The Great Railway Bazaar? Der Mann, der schon Field Marshal Slim, den Sieger der Schlacht um Burma, und seine Frau bewirtet hatte! Von anderen Exzellenzen ganz zu schweigen. Freundlicherweise sorgte er dafür, dass ich noch etwas Warmes zu essen bekam. Leider waren die normalen Zimmer belegt, sodass ich mit einem Verschlag vorlieb nehmen musste, der auf Galerie errichtet worden war. Nach dem Dinner saß ich noch mit ein paar Travellern zusammen, darunter eine hübsche Frau, die sich bei den männlichen Gästen großen Interesses erfreute. Nicht zuletzt bei mir. Leider zeigte sie sich allen Avancen gegenüber standhaft. So blieb mir nichts anderes übrig, als in meinen Verschlag zu gehen und mir vorzustellen, wie schön es hätte werden können …