Ein Schuhdiebstahl in Yangon
Im Frühjahr 2000 war ich vollauf damit beschäftigt, mein neu begründetes Reisebüro ins Rollen zu bringen. Dazu braucht man natürlich Visitenkarten und so ging ich mit meiner Sekretärin zu einem kleinen Computershop in der 34. Street. Das Geschäft war zur Straße hin offen und an den sechs oder acht Computern wurde fleißig gearbeitet. Wir zogen – wie es sich in Myanmar gehört – unsere Schuhe aus und stellten sie vor dem Laden zu weiteren zehn Paaren, die dort bereits standen. Es versteht sich von selbst, dass meine schwarzen ledernen Halbschuhe die Könige unter den landesüblichen Plastiklatschen bzw. deren Luxusausgaben waren. Und das nicht nur wegen meiner Schuhgröße 46. Wir betraten den Laden und machten uns mit Hilfe einer Angestellten an die Arbeit. Als wir nach ca. eineinhalb Stunden fertig waren, verabschiedeten wir uns und gingen nach draußen. Zu meinem großen Befremden waren meine Schuhe nicht mehr da. Ich nahm an, dass jemand sie vorsorglich in den Laden hineingestellt hatte, aber dem war nicht so – sie waren weg!
Natürlich war ich verärgert und teilte dies dem Chef des Ladens mit, einem jungen Chinesen, der sich sehr betroffen zeigte. Aber meine Schuhe brachte mir das auch nicht wieder zurück. Es gelang mir nicht, ihn davon zu überzeugen, dass er einer gewissen Fürsorgepflicht für das Eigentum seiner Kunden unterliege. Schließlich hatte ich sie nicht zuletzt deshalb ausgezogen, um ihm meinen Respekt zu erweisen. Er bedaure unendlich, aber leider könne er nichts für mich tun.
„Wie bitte?“ fragte ich. Diese Schuhe hätten hundert Dollar gekostet und ich sei nicht bereit, ihren Verlust einfach so hinzunehmen. Der Mann blieb höflich, aber hart in der Sache: Er sei nicht für meine Schuhe verantwortlich! Nun war guter Rat teuer. Da mich das offenbare Desinteresse des Mannes am Verschwinden meiner Schuhe verärgerte, überlegte ich mir, wie ich das ändern könne. Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren:
Hier handelte es sich doch ganz klar um einen Diebstahl und für so etwas ist nun einmal die Polizei zuständig – auch in Myanmar. „Polizei?“ fragte der Ladeninhaber völlig konsterniert: Ich könne doch nicht einfach die Polizei rufen! „Wieso denn nicht?“ fragte ich. Es läge doch auf der Hand, dass hier ein kriminelles Delikt vorliege. Außerdem sei er ja nicht direkt betroffen: Was könne er schließlich dafür, wenn ein Dieb vor seinem Laden Schuhe stehle? Auch meine Sekretärin war mehr als überrascht von meinem Vorschlag und redete heftig auf mich ein. Der Mann würde größte Probleme bekommen und womöglich eine erhebliche Summe an die Polizei zahlen müssen. Gar nicht zu reden von weiteren Folgen! Aber ich blieb stur: Dann solle er mir halt das Geld für die gestohlenen Schuhe erstatten, das würde ihn deutlich billiger kommen. Der arme Kerl war nun ernsthaft besorgt und überlegte verzweifelt, wie er den Kopf aus der Schlinge ziehen könnte, die dieser verrückte Ausländer für ihn knüpfen wollte.
Dann kam er mit einem abenteuerlichen Vorschlag: Er kenne ein paar Läden in der 30. Straße, die mit gebrauchten Schuhen handelten. Möglicherweise habe der Dieb seine Beute dort angeboten. Das kam mir nun so absurd vor, dass ich es ablehnte, überhaupt darüber nachzudenken. Als jedoch auch meine Sekretärin mich bedrängte, dem Mann eine Chance zu geben, stimmte ich zu. Ich fragte noch spöttisch, was das denn für ein Quatsch sei. Aber ich wolle meinen guten Willen demonstrieren und daher würde ich auf den Vorschlag eingehen. Man besorgte mir also ein Paar Gummilatschen (viel zu klein für meine Riesenfüße) und auf ging’s zur nahen 30. Straße: der Chinese, meine Sekretärin und ich auf meinen Flipflops. An unserem Ziel fanden wir auch tatsächlich drei indische Läden nahe der Anawrahta Street, die gebrauchte Schuhe im Angebot hatten. Meine Sekretärin ging also zum Inhaber des ersten Ladens und trug ihm mein Anliegen vor: Der Ausländer bräuchte ein paar schwarze Halbschuhe in seiner Größe. Der Händler zuckte bedauernd mit den Schultern und wir gingen zum Nachbarn. Der hatte zwar ein Paar schwarze Halbschuhe im Angebot, aber leider nicht meine Größe. Dem Chinesen wurde es sichtlich unbehaglich. Also letzter Versuch! Und siehe da – wir hatten Glück. „This is your lucky day!“ sagte der Händler und zog einen Schuhkarton aus dem Regal.
Er öffnete ihn und sagte: „Those just came in!“ und zeigte mir – meine Schuhe, frisch geputzt! Die Gesichter meiner Sekretärin und des Chinesen hellten sich auf. Ich hingegen hatte Mühe, nicht aus der Fassung zu geraten: “Can I try them?“ stammelte ich. „Of course, go ahead! They’re only five thousand Kyat“, war die Antwort. Immerhin 20 Dollar! „Die passen hervorragend!“ sagte ich. „Will you take them?“ fragte der Inder. „Definitely!“ antwortete ich. „And do you know why they fit so perfectly?” – “No idea!” war die Antwort! “Because these are my own shoes that somebody stole half an hour ago, you asshole!” rief ich. Inzwischen hatte sich schon eine heftig schnatternde Menge ums uns versammelt – endlich war mal was los! An meine Sekretärin gewandt sagte ich: „Ruf die Polizei, der Kerl hier ist ein Hehler!”. Aber ich hatte meine Rechnung ohne den Wirt gemacht! Schon bevor ich die Schuhe auch nur anprobiert hatte, waren sich der Inder und der Chinese über den Preis einig geworden: Letzterer bezahlte 2000 Kyat und dann drängte alles zum Aufbruch. „Aber das geht doch nicht! Wir können diesen Hehler doch nicht ungestraft davon kommen lassen!“ wandte ich ein. Doch ehe ich mich versah, wurde ich sanft, aber nachdrücklich davon geschoben und fand mich schließlich mit der Sache ab. Burmese way wie er im Buche steht!