Burmesische Traumberufe
Im Laufe der Jahrzehnte, die ich nach Burma/Myanmar kam bzw. hier lebe, gab es viele Veränderungen auf allen Gebieten. Im Folgenden sei die Rede von Traumberufen und ihrem Wandel im Laufe der Zeit.
Lange war hierzulande Seemann der begehrteste Beruf schlechthin. Er hat bis heute wenig von seiner Attraktivität eingebüßt. Einer meiner Schwäger ist als solcher tätig und verdient sehr anständig für burmesische Verhältnisse. Der Preis dafür ist seine fast ständige Abwesenheit von daheim. Auch Leute, die nicht aus reichen Familien stammten, hatten so in den 70er und 80er-Jahren die Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Burmesische Seeleute genießen einen ausgezeichneten Ruf, denn sie verfügen in der Regel über eine gute Ausbildung. Nicht selten sind sie studierte Leute oder Ingenieure, wie z. B. mein Schwippschwager. Etliche deutsche Firmen – die prominenteste unter ihnen ist sicher Uniteam in Yangon – bilden angehende Seeleute aus und verchartern oftmals komplette Crews an die Reedereien. Aber auch einheimische Unternehmen tummeln sich auf diesem Feld. Ihre Kollegen aus anderen Ländern (z. B. Indonesien oder Philippinen) sind – so höre ich – nicht so gut geschult. Früher genossen burmesische ‚Sailors’ das Privileg, pro Jahr einen Gebrauchtwagen in ihr Heimatland einführen zu dürfen, wenn ich richtig informiert bin. Das war so gut wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Seit dem Jahre 2000 wurden diese Vergünstigungen nach und nach aufgehoben. Die meisten dieser Autos kamen aus Japan, aber auch aus Deutschland wurden Fahrzeuge importiert. Daher findet man hierzulande viele, die das Steuer auf der ‚falschen’ Seite haben. Allerdings gibt es seit einiger Zeit die Regelung, dass nur noch solche mit Linkssteuerung importiert werden dürfen. Auch eine Altersbegrenzung für Fahrzeugimporte wurde eingeführt und so sieht man die damals eingeführten Karren heute eher selten auf der Straße. Was durchaus zu begrüßen ist. Doch bleiben wir bei den guten alten Zeiten: Der Wert des eingeführten Autos war vom Gehalt des Seemanns abhängig.
Viele in Deutschland gekaufte Wagen wurden durch einen in Hamburg ansässigen burmesischen Bekannten von mir an die Seeleute vermittelt. Der erledigte auch die Verschiffung. Leute mit guten Verbindungen konnten Kauf und Export selbst in die Hand nehmen und sich die Provision (siehe unten: Broker) sparen. Vor allem die höherpreisigen Fahrzeuge verblieben nicht im Land, sondern gingen direkt über die Grenze nach China. Dort herrschen seinerzeit noch erhebliche Importrestriktionen und es konnten bessere Preise erzielt werden. Ein gutes Geschäft für die Fahrensleute.
Sehr beliebt unter ihnen war auch das ‚Toshiba-Geschäft‘. Vor allem vor 1988 galten sehr strikte Devisenbestimmungen. Seeleute gehörten zu wenigen Burmesen, die – für eine bedingte Zeit – berechtigt waren, Fremdwährungen zu besitzen. Sofort nach der Ankunft in Rangoon musste der Seemann beim Zoll seine Devisen deklarieren. Die wurden in eine Liste eingetragen und waren damit legalisiert. Mit seinen Dollars ging er zur Toshiba-Vertretung in der Merchant Street, wo man mit der US-Währung Fernseher, Kühlschränke usw. kaufen konnte. Draußen vor der Tür warteten schon die Burmesen, die das nötige Kleingeld besaßen. Sie gaben dem Seemann ihre Wunschliste, handelten den Preis (in einheimischer Währung) aus und der kaufte im Laden die Ware. Der Kaufpreis wurde aus seiner Devisenliste ausgetragen, ganz ähnlich wie bei der Form, die Touristen damals ausfüllen mussten … Draußen wurde die Ware an den Kunden übergeben und dann hatte der Verkäufer eine beträchtliche Summe in der Tasche.
Das Geschäft war so verlockend, dass manche Offiziere zwei Jahre in einem Rutsch fuhren. Der Verdienst reichte aus, um in Downtown Rangoon eine Wohnung (20 x 60 feet, ‚Hongkong Style’) für damals 5.000 US-Dollars zu kaufen und sich ein Jahr lang auszuruhen, bevor es wieder an Bord ging. Bei der holden Weiblichkeit erfreuten sie (auch niedrige Ränge) sich großer Wertschätzung. Auf dem Heiratsmarkt lagen sie als Dollar-Verdiener ganz vorn, gefolgt von Militäroffizieren. Den dritten Platz teilten sich Ärzte und Rechtsanwälte.
Nicht ganz so gut hatten es die Kollegen, die für die einheimische ‚Burma Five Star Line’ fuhren. Der Job war demgemäß nicht so begehrt wie der bei ausländischen Reedereien. Immerhin konnten sie ein bisschen Geld machen, indem sie burmesische Handwerksartikel – und wer weiß, was noch – verkauften. Erste Adresse in Hamburg war mein alter Bekannter Harry Rosenberg in der Bernhard-Nocht-Straße in St. Pauli. Ich entsinne mich bis heute an eine Begegnung mit burmesischen Seeleuten in der Hansestadt. Eine Sendung aus Burma für unser Geschäft kam Mitte der 80er-Jahre mit der M.V. Sagaing (siehe Foto) der staatlichen Linie kurz vor Weihnachten im Hamburger Hafen an. Weil wir die Ware dringend für das Weihnachtsgeschäft benötigten, entschlossen wir uns, in Berlin einen Lkw zu mieten und sie selbst abzuholen.
Wir fuhren mitten in der Nacht los. Über die B 5 ging es nach Lauenburg und wir erreichten Hamburg gegen 10 Uhr morgens. Das Schiff hatte am (heute längst zugeschütteten) Diestelkai festgemacht. Dies war anscheinend einer der Letzten in Hamburg, an denen noch Stückgut umgeschlagen wurde. Wir passierten die Köhlbrandbrücke im dichten Schneetreiben und erreichten schließlich unser Ziel. In der Kantine trafen wir ein paar burmesische Seeleute und trauten unseren Augen nicht. Sie waren in dünne Blaumänner gekleidet und trugen Flipflops, mit denen sie durch den Schnee stampften. Uns war schon kalt, ich frage mich, wie sich die armen Kerle gefühlt haben. Sie schnatterten vor Kälte und wir luden sie auf einen Tee ein. Essen wollten sie nichts, vermutlich war die Hamburger Kantinenkost für sie ungenießbar.
Reiseleiter war der nächste Berufshit, so weit ich mich erinnere. In den ersten Jahren der Ne-Win-Regierung waren touristische Reisen nach Burma nicht möglicht. Später gab es 24-Stunden-Visa. Gerade mal genug, um sich die Shwedagon anzuschauen. In den 70er-Jahren traute sich die Regierung richtig etwas und öffnete das Land für 8-Tage-Reisen (7 Übernachtungen). Tourist Burma (später Myanmar Travels and Tours, MTT) hatte lange Jahre das Monopol für diese Reisen. Das bedeutete schrottreife Fahrzeuge, heruntergekommene Hotels und zahlreiche Einschränkungen. Anfangs waren nur Rangun, Mandalay, Bagan und Pegu geöffnet. Bald kam der Inle-See hinzu. Langsam wurde die Zahl der Destinationen vergrößert und in den 90er-Jahren wurden vierwöchige Visa eingeführt. Gleichzeitig verlor MTT sein Monopol und private Unternehmen wurden zugelassen. MTT vermochte dieser Konkurrenz nicht standzuhalten und versank als Reiseanbieter in der Bedeutungslosigkeit. Heute ist es nur noch eine Art Verwaltungsbehörde für den Tourismus. Die Privatunternehmen dominierten den Markt und das ist bis jetzt so geblieben. Falls denn mal wieder Touristen ins Land gelassen werden. Ich erinnere mich daran, dass Burma 1977 etwas mehr als 20.000 Besucher hatte (ich war mit zweien daran beteiligt). Die Anzahl der Touristenbesuche wuchs und wuchs und bald waren es mehr als hunderttausend. Später Millionen.
Und die brauchten natürlich Tourguides. So strömten viele junge Leute in diesen Beruf. Die meisten von ihnen waren Absolventen der UFL (University for Foreign Languages), wo sie Englisch studierten. Auch Deutsch und Französisch waren begehrte Sprachen, desgleichen Japanisch. Die zahlreichen Thai-Kunden wurden in der Regel von Shan-Reiseleitern begleitet, da diese sich offenbar problemlos mit Thais verständigen können. Der Erwerb einer Reiseleiterlizenz ist relativ einfach, Auftraggeber zu finden dagegen schon etwas schwieriger. Wie in Myanmar üblich, machten sich viele Reiseleiter und Reisebüromitarbeiter selbstständig. ‚Ihren’ Kundenstamm nahmen sie mit. Aus einer mir bekannten Firma sind mindestens fünf Ableger hervorgegangen. Vermutlich mehr. Burmese way!
Schlagerstar gilt bereits seit einiger Zeit als Traumberuf. Jeden Tag kommen neue Aspiranten hinzu. Offenbar bedarf es dazu nicht viel. Es ist von Vorteil, wenn man ein bisschen singen kann. Ist aber nicht unbedingt erforderlich. Etwas Piepsen und Brummen reicht aus, die moderne Tontechnik tut ein Übriges. Rapper haben es noch einfacher. Vor allem Kinder aus wohlhabenden Familien versuchen, mit Hilfe ihrer Eltern eine Karriere zu starten. Eine CD oder noch besser eine DVD zu produzieren ist relativ billig. Vor allem hübsche junge Mädchen suchen sich oft einen ‚Sponsor’, der ihnen den Weg bereiten soll. Ich selbst hatte das Vergnügen, so einem angehenden Schlagerstar Starthilfe zu geben. Hat mich eine Stange Geld gekostet. Herausgekommen ist dabei nicht viel (siehe: 4-2-4: Das Album). Im Fernsehen gibt es mittlerweile mindestens zwei Sendungen (‚Myanmar Idol’ und ‚The Voice’), in denen sich vielversprechende Talente versuchen. Die Jury besteht aus altgedienten Schlagerstars, die gute Ratschläge geben (siehe Popmusik in Myanmar). Wer ‚Deutschland sucht den Superstar’ kennt, weiß, was ich meine. Doch es ist Licht an Ende des Tunnels zu sehen: Ich selbst werde demnächst meine ersten Songs herausbringen! Wirklich! Natürlich kann ich in meinem Alter nicht damit rechnen, die Popularität meines Landsmannes Mikis Weber aus Bremen zu erreichen. Der hat es hier zu landesweitem Ruhm als Sänger und Schauspieler gebracht und wurde angesichts der Unruhen nach dem Militärputsch 2021 sogar im deutschen Fernsehen interviewt. Kurz danach flüchtete er aus dem Land verlassen. Let’s wait and see!
Doch Seemann und Reiseleiter hin, Schlagersänger her: Der beliebteste Beruf in Myanmar ist von je her Broker (burm. pwe: za:)! Dazu bedarf es wenig. Man muss nur jemanden kennen, der etwas sucht, und einen anderen, der genau das hat. Oder jemanden kennen, der einen kennt … Oder man hat ‚Connections’, die man sich gut bezahlen lässt. Dann bringt man die beiden zusammen und am Ende kommt eine schöne Kommission (pwe: ga.) heraus. Broker sind nicht nur auf Feldern wie Autohandel oder Immobilien unterwegs. Ein Ausländer braucht eine Visaverlängerung? Kein Problem, macht zweihundert Dollar. Selbstkosten ca. 30! Meine Frau brauchte ein Visum für Großbritannien, dessen Botschaft in Yangon aus unerfindlichen Gründen keine ausstellt. Dazu muss man nach Bangkok (oder war es Singapore?) fliegen. Broker erledigen das gern und schnell: Kostenpunkt 500 Dollar, ein nicht unbeträchtlicher Teil davon schweineteure Versandkosten. Wir wollten auf jener Reise neben England auch Irland besuchen, das nicht dem Schengen-Raum angehört, für den sie ein Visum hatte. Das wäre vermutlich noch teurer geworden. So entschlossen wir uns, nach Nordirland zu fliegen und von dort illegal über die Grenze in die Republik zu fahren. Meine Frau war fünf Tage als illegale Einwanderin unterwegs! Zum Glück hat keiner etwas gemerkt …
Doch das sind schon große Fische. Die meisten Broker arbeiten auf der untersten Ebene. Du brauchst eine Kinokarte? Kein Problem, der Broker verkauft sie dir! Du willst bei einer Behörde nicht anstehen? Der Broker erledigt das für dich gegen ein bisschen pwe: ga. Du brauchst eine Eisenbahnfahrkarte nach Mandalay?
Oder ein Flugticket nach Dawei? Kein Problem! Wenn du das Geld auf den Tisch legst. Wie man hört, können Broker sogar Leute vermitteln, die für andere ins Gefängnis gehen! Die nehmen die Schuld für etwas auf sich, mit dem sie überhaupt nichts zu tun hatten. Und der Einsitzende bzw. dessen Familie müssen natürlich bezahlt werden. So etwas nennt man wohl Outsourcing. Sogar für Dinge, die man bequem selbst erledigen kann, beschäftigen viele Burmesen gern einen Broker. Gilt offenbar als vornehm …
Nachstehend ein Erfahrungsbericht über eine Haussuche. Für die Vermittlung von Wohnungen und Häusern sind zwei Monatsmieten an den Broker zu zahlen. Eine vom Vermieter, die andere vom Mieter. Beim Verkauf eines Objektes gibt es zwei Prozent Kommission. Das lohnt sich dann richtig! Und so versucht sich jeder Hans und Franz in diesem Geschäft. Als ich auf der Suche nach einer neuen Bleibe in North Dagon war, verabredete ich mich mit einem Broker in der Nähe meines Hauses. Er wollte mir am nächsten Tag drei Objekte zeigen, die Schlüssel würde er besorgen. Wer beschreibt mein Erstaunen, als mich nicht weniger als sieben (!) selbst ernannte Broker dort erwarteten. Einige mit dem Fahrrad, andere zu Fuß. Diese Bande verfolgte mich die ganze Zeit. Der Besitzer des ersten Objektes schickte mich meine Begleiter gleich wieder weg: Das Haus sei gar nicht zu vermieten! Beim zweiten Versuch wurde mir eine ziemlich verbaute Hütte zu einem völlig überhöhten Preis gezeigt. Blieb Nr. 3, ein unbewohntes Haus, das von außen einen ganz guten Eindruck machte. Leider hatte weder der Hauptbroker noch einer seiner Kollegen einen Schlüssel dabei. So zog ich unverrichteter Dinge wieder ab.