Burmesische Zahlenmystik - 108

Der Planetenstupa auf der Plattform der Shwedagon

Jeder, der sich längere Zeit in Burma/Myanmar aufhält, wird früher oder später merken, dass Zahlenmystik für die Burmesen (egal welcher Ethnie) eine große Rolle spielt. Sei es die Zahl neun, seien es die Geldscheine mit merkwürdigen Nennwerten wie 35, 45, 75 oder 90 Kyat. Um nur einige zu nennen. Erst gestern stieß ich wieder auf so eine Sache. Ich besuchte meinen Freund Yang Lama, den Abt des tibetischen Klosters hier in Maymyo. Er war damit beschäftigt, Öllämpchen für eine Zeremonie vorzubereiten und sagte mir, dass er 108 benötige. Da ich immer ein offenes Ohr für die Numerologie betreffende Angelegenheiten habe, fragte ich ihn: „Warum 108?“. Er erklärte mir, dass sich die Zahl wie folgt zusammensetze: 52 höhere Chakras (vom Kopf bis zum Nabel) und 48 niedere Chakras (vom Nabel bis zu den Füßen). Hinzu kämen die fünf Buddhas Vairocana, Amoghasiddhi, Amitabha, Ratnasambhava und  Aksobhya. Auch Tathagatas genannt. Die drei Juwelen (Buddha, Dharma und Sangha) komplettierten die Zahl. Für mich insofern interessant, als ich 108 für eine rein astrologische Zahl halte. Allerdings bezieht sich dies auf den in Myanmar vorherrschenden Theravada-Buddhismus, während der tibetische Buddhismus zur Mahayana-Schule zählt.   

Was hat es nun mit dieser Zahl 108 auf sich? Zuerst einmal fällt hierzulande natürlich jedem ein, dass dies die Anzahl der Perlen auf der Gebetskette ist. Der Fußabdruck des Buddha enthält 108 Zeichen. Und die Quersumme von 108 ist – besagte Zahl 9! Eine anderes Mysterium. Auf der Plattform der Shwedagon steht direkt vor dem Tempel mit der Singu-Glocke (zwischen West- und Nordaufgang) ein unscheinbarer Stupa, der den Namen Planetenstupa trägt. Wenn man näher herantritt, sieht man sechzehn Nischen. Die Hälfte davon beherbergt Götterfiguren, die auf einem Reittier sitzen (siehe unten). Sie symbolisieren die Wochentage. In den Nischen dazwischen sitzen Buddhastatuen, denn jedem Tag ist auch ein Buddha zugeordnet. Diese jedoch haben nichts mit den o. g. Tathagatas zu tun, sondern gehören zu den berühmten 28 Buddhas, die in Burma verehrt werden.

Die Götterfiguren symbolisieren die acht Tage der Woche. Wieso acht, wird nun vielleicht einer fragen. Tja, für die Burmesen hat die Woche acht Tage, da deren Zahl mit der der Himmelsrichtungen und der Planeten korrespondieren muss. Aber die Woche hat nun einmal nur sieben Tage. Was tun? Ganz einfach: Man teilte den Mittwoch und machte zwei Tage daraus: Einer ist dem Planeten Merkur gewidmet, der andere dem fiktiven Planeten Rahu, der nur bei Sonnen- und Mondfinsternissen zu sehen ist. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man am Sockel der Götterfiguren den Namen des Planeten und darunter eine Zahl (beides in Burmesisch).  

Montag, Tiger, 15 Jahre
Dienstag, Löwe, 8 Jahre
Mittwochvormittag, Elefant m. Stoßzähnen, 17 Jahre
Mittwochnachmittag (Rahu), Elefant ohne Stoßzähne, 12 Jahre
Donnerstag, Ratte, 19 Jahre
Freitag, Maulwurf, 21 Jahre
Samstag, Drache, 10 Jahre
Sonntag, Garuda, 6 Jahre

Allgemein wird angenommen, dass der Mensch zuerst die entsprechende Anzahl von Jahren unter dem Einfluss des Planeten steht, an ‚dessen’ Tag er geboren wurde. Dann wandert er in den Einflussbereich des Nächsten. Nun entspricht allerdings die Anordnung der Tage nicht der Reihenfolge der Wochentage, sondern lautet: Montag, Dienstag, Mittwochvormittag, Samstag, Donnerstag, Mittwochnachmittag/Rahu, Freitag, Sonntag! Ich erläutere das anhand eines ‚Montagskindes’. Es steht demnach 15 Jahre unter dem Einfluss des Mondes und wandert nach Ablauf dieser Zeit in den Einflussbereich des Mars, in dem es 8 Jahre verbleibt. Dann verbringt es 17 Jahre im Haus des Merkur und bnschließend 6 in dem der Sonne usw. Die Summe beträgt – 108! Weiterhin ist jedem Tag eine Buchstabengruppe des burmesischen Alphabets zugeordnet. Daher kann man am Namen erkennen, an welchem Tag eine Person geboren wurde. Vier dieser Planeten gelten als glücksverheißend (Venus, Mond, Saturn

und Jupiter), die anderen vier (Rahu, Sonne, Merkur, Mars) hingegen als unheilvoll. In dieser Zeit muss man mit Krankheiten und sonstigem Leid rechnen. Für die Burmesen hat das Geburtsdatum traditionell keine Bedeutung, nur der Wochentag zählt. An ‚seinem’ Tag geht der Gläubige zur Pagode und opfert an der Planetenandachtsstätte (gjou dain) Blumen, zündet Kerzen an und übergießt die Buddhastatue mit Wasser: Für jedes Lebensjahr einen Guss. Wer also wissen möchte, wie alt die Person ist, zählt einfach die Zahl der Güsse. Bis auf den Letzten, der ist für den Rest des Lebens. Die bei uns übliche alljährliche Geburtstagsfeier hat in Myanmar traditionell keine Bedeutung, beginnt jedoch auch hierzulande Fuß zu fassen, vor allem bei der städtischen Bevölkerung. Den an den verschiedenen Wochentagen Geborenen werden unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeschrieben. Doch das würde jetzt wirklich zu weit führen …