Der kurze Weg zum Glück
Vielen Besuchern Burmas ist aufgefallen, dass seine Bewohner offenbar glückliche Menschen sind. Tonny ROSINY hat es im Titel seines Buches (Birma – Das Glück des einfachen Lebens) sehr schön ausgedrückt. Woran liegt das? Ich glaube, ihr Geheimnis entdeckt zu haben. Nach meiner Erkenntnis gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen den Burmesen und den Bürgern der westlichen Welt. Letztere glauben, erst dann glücklich sein zu können, wenn sie die angemessenen materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Damit halten sich die Burmesen nicht auf: Sie fangen gleich an mit dem Glücklichsein, denn sie sind sich gewiss, dass das Glück nicht an materiellen Dingen hängt. Den Menschen in der westlichen Welt hingegen gleitet es auf dem Weg zur Schaffung der Voraussetzungen aus den Händen. Der einfachste Burmese in seiner Bambushütte ist zufriedener als der stolze Bewohner des deutschen Eigenheims, in dem er sich und die Seinen einsargt. Da gefällt es mir in der Garage besser, in denen sich meine Angestellten ihr Birmanotop eingerichtet haben. Dort stehen meine ausrangierte Waschmaschine, Zementsäcke und anderer Tinnef. Und natürlich der Fernseher mit dem DVD-Player – sozusagen der Familienaltar. Burmesen können defekte Gebrauchsgegenstände einfach nicht wegwerfen. Viele hier erinnern mich an meinen Vater, der selbst krumme Nägel wieder gerade hämmerte. Mein Enkel Oskar war so beeindruckt, dass er während seines Besuches bei mir dort eine ganze Reihe von Fotos aufnahm.
Doch zurück zum wahren Leben: Auf meinem Weg ins Büro sehe ich überall kleine Verkaufsstände, an denen Betelprieme, Zigaretten oder Getränke verkauft werden. Oft sitzt hier nicht nur der Verkäufer selbst, sondern etliche seiner Freunde oder vielleicht auch Kunden. Früher habe ich solche Leute bedauert, weil sie vermutlich arbeitslos sind. Informeller Sektor – bestenfalls! Das stimmt wahrscheinlich, aber es wird hier nicht als Makel oder Unglück empfunden. Sondern als Segen! Gibt es etwas Schöneres, als mit seinen Freunden herumzusitzen, zu schwätzen, sich die neuesten Gerüchte zu erzählen und Spaß zu haben? Das ist das wahre Leben! Ich sehe meinem Gärtner und seinem Kind zu: Sie sitzen auf dem blanken Betonboden der Einfahrt meines Hauses und spielen, indem sie einen Ball zwischen sich hin und her rollen – stundenlang, wie mir scheint. Beide amüsieren sich königlich und ich erkenne: Der Mann ist glücklich! Und das Kind auch! Bei einer anderen Gelegenheit sehe ich die Mutter meines Hausmädchens, die aus dem Deltadorf zu Besuch ist, mit ihren Enkelinnen (14 und 4 Jahre alt) auf meinem Hof sitzen. Sie schneiden mit einem Messer Palmwedel in lange dünne Streifen. Ich frage, was sie denn da tun und die Antwort ist: „Wir machen uns einen Besen!“ Einen Besen! Den man für ein paar Cent von fliegenden Händlern an der Tür kaufen kann! Aber sie basteln sich einen – das Glück des einfachen Lebens …