Drei burmesische Stilikonen

Myanmar ist ein armes Land. Bis heute. Und Not macht bekanntlich erfinderisch. Seitdem ich vor mehr als vierzig Jahren das erste Mal hierher kam, bewunderte ich das Improvisationstalent seiner Menschen. Ich habe die Entwicklung in den letzten vierzig Jahren in drei Phasen aufgeteilt:

  1. Die Sandblechphase
  2. Die PVC-Rohr-Phase und
  3. Die Edelstahlphase

Diese Materialien wurden für mich zu Ikonen ihrer Stilepoche.

Tür aus Sandblech - ausgerechnet in einem Stainless-Steel-Workshop!

Ein Sandblech ist ein Hilfsmittel zur Bergung von festsitzenden Fahrzeugen und zum Bau von Landebahnen auf Feldflughäfen oder kurzen Straßenstücken, besonders auf Brücken. Sandbleche werden daher auch Luftlandebleche oder Bodenbelagsbleche genannt. Es handelt sich um grob gelochte, etwa 200 x 60 cm große und 3 bis 5 mm dicke Platten aus Blech. Sie haben an den Längsseiten eine Verzahnung, mittels derer sie miteinander verbunden werden können. Auf eine ebene Fläche aus Sand, Erde oder Ähnlichem gelegt kann innerhalb kurzer Zeit ein großes Areal zur Nutzung durch Flugzeuge und schweres Gerät nutzbar gemacht werden. Ohne dass die Reifen einsinken oder gleich eine Schlammgrube entsteht.

So weit, so gut. Aber das erklärt nicht ihre allgegenwärtige Verbreitung in diesem Land. An jeder Ecke sind sie zu sehen und werden für alle möglichen Zwecke verwendet. Am liebsten für Zäune, aber auch Gartenbänke, Türen und andere Gebrauchsgegenstände werden daraus gemacht. Außerhalb Burmas sind sie eher relativ selten zu sehen und so fragte ich mich immer, wo um Himmels willen diese ganzen Sandbleche herkommen. Anfangs dachte ich, dass sie vielleicht Überbleibsel des Krieges seien, aber das erschien mir angesichts ihrer Menge und des guten Zustandes zunehmend unwahrscheinlich. Zudem handelt es sich ja um einen Gegenstand, der eigentlich selten in der Hand von Privatleuten zu sehen ist. Ich verbinde sie eher mit dem Militär. Ich war bis heute nicht in der Lage herauszufinden, wo die Dinger alle herkommen.

PVC-Shop in Maymyo
Pergola aus PVC-Rohr im Shiva-Tempel Naungkangyi/Pyin Oo Lwin (Detail)

Stilikone Nr. 2 ist das hellblaue PVC-Rohr, das vermutlich aus China importiert wird. Ich kenne diese Rohre aus meiner Karriere im Sanitärgewerbe, z. B. für Abflussrohre. Die waren aber immer grau, denn so schön sind sie ja auch nicht, dass sie unbedingt auffallen müssten. Aber vielleicht ist man in China stolz darauf? Sie werden vor allem für Wasserleitungen (sowohl Zufluss als auch Abfluss) verwendet. Was hierzulande kein Problem ist, da der Wasserdruck in Myanmar relativ niedrig ist und die meisten Leitungen nach dem Gefälleprinzip funktionieren. In Deutschland würden die Dinger aufgrund des Wasserdrucks an den Klebestellen auseinander fliegen. Für den Betrieb von Waschmaschinen usw. muss man hier eine Pumpe einbauen. 

Darüber hinaus können sie in vielfältiger Weise verwendet werden. Im Gefolge der Corona-Krise finden sie z. B. oft Verwendung als Abschirmung. Man geht mit seiner Frau, mit der man Tag und Nacht zusammenlebt, zu einem romantischen Dinner in ein Restaurant. Dort wird dann der ‚Screen‘ aus PVC-Rohr und Cellophanfolie in die Mitte des Tisches gestellt. Darüber hinaus bietet PVC-Rohr ungeahnte Möglichkeiten: als Tischgestell, als Wäschetrockner, als Bilderrahmen – um nur drei zu nennen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich habe sogar schon gesehen, dass die Dinger als Pfeiler für den Bau von Hütten eingesetzt werden. Vermutlich billiger als Bambus! Und haltbarer.

Die für mich schönste Verwendung hat ein Hindu-Tempel in Pyin Oo Lwin gefunden. Die ganze Gartendekoration wurde aus diesem Material zusammengebastelt. Unglaublich und schön zugleich. Auch alte Autoreifen fanden dort Verwendung als Blumenkästen.

Na, wenn das nicht hilft ...
Blumenampel, dto.
Das Angebot 'meiner' Edelstahlwerkstatt. Beachte Sandblechzaun im Hintergrund!

Edelstahl aus China ist der neueste Hit! Das Zeug ist unschlagbar billig: Ein Rohr von 6 m Länge mit einem Durchmesser von einem Zoll kostet fünf Euro. Da die Arbeitskosten ebenfalls niedrig sind, kann man die tollsten Sachen daraus machen. Es glitzert auch viel schöner als die oben genannten PVC-Rohre – und stabiler sind sie dazu. So werden gern Geländer und Betten daraus gebaut. Aber auch Predigtstühle für Mönche. Nun fragt sich jeder: Wieso nehmen die denn kein Holz? Myanmar ist doch die Heimat der Teakbäume! Ganz einfach: Holz ist viel teurer als Edelstahl. Ich habe mir eine Poolheizung aus Edelstahl bauen lassen: 40 Meter ½-Zoll-Rohr mit 20 Biegungen kosteten mich 70 Euro. Und ich habe wahrscheinlich viel zu viel bezahlt …  

Kinder vor Edelstahl-Planengestell
Der Knaller: Predigstuhl aus Edelstahl mit bunten Applikationen