Lamaismus in Myanmar

Der Gumba-Tempel in Pyin Oo Lwin

Als Lamaismus bezeichnet man die in Tibet praktizierte Form des Buddhismus. Sie hat viele Nachbarländer beeinflusst. So wird die Religion sowohl in Nepal, Bhutan, Sikkim und Ladakh praktiziert als auch in der Mongolei und benachbarten Kulturkreisen.

Zur Sache: Seitdem ich vor einem Jahr nach Maymyo (Pyin Oo Lwin) gezogen bin, hat mich die religiöse Vielfalt dieser doch eher kleinen Stadt fasziniert: Hindus, Moslems, Christen aller Schattierungen haben hier ihre Gebetshäuser errichtet. Nicht zu vergessen die Animisten. Der berühmte Nat Ko Myo Shin ist schließlich hier daheim, der berühmte Herr der neun Städte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo anders in Myanmar eine derartige Vielfalt gibt.

Doch selbst hier gibt es immer wieder neue Überraschungen. Bei meinen Ausflügen in die Umgebung stieß ich auf den Gumba-Tempel. Bei google maps als buddhistischer Tempel ausgewiesen. Ich erwartete einen chinesischen Tempel oder ein burmesisches Kloster. Und was fand ich? Einen tibetischen Tempel! Also eine mahayana-buddhistische Kultstätte, in der die tibetische Version des Mahayana gepflegt wird. Tibeter in Myanmar? Nun, hierzulande gibt es ein buntes Völkergemisch, da überrascht einen so leicht nichts. …

Aber es sind keine Tibeter, die diesen Tempel betreiben. Es sind Angehörige des Volkes der Tamang. Sie stammen aus Nepal, wo sie heute ca. 6 % der Bevölkerung (ca. 1.5 Millionen) ausmachen. Zahlenmäßig sind sie eines der größten Bergvölker des Landes. Über ihre Geschichte ist wenig bekannt, aber sie zählen mit Sicherheit zu den Völkern, die am längsten in Nepal leben. Sie wanderten vermutlich vor mehr als dreitausend Jahren vom tibetischen Plateau hinab in das Gebiet, das heute Nepal genannt wird. Die Tamang verfügen über eine eigene Kultur, Tradition und Sprache (tibeto-burmanische Sprachfamilie) sowie ein Alphabet, das vom tibetischen Alphabet abgeleitet ist. 90 % der Tamang hängen dem tibetischen Buddhismus an. Ihr Kalender ist stark an den chinesischen mit seinem Zwölfjahreszyklus angelehnt. Wie auch andere Bergvölker des Landes spielen sie in Nepal eine untergeordnete Rolle. Die meisten betreiben Landwirtschaft in den Bergen und viele sind als Träger für Trekking-Expeditionen tätig. So mancher Träger, der von den Touristen als Sherpa betrachtet wird, ist in Wirklichkeit ein Tamang. 

Novize vor dem Altar in der großen Gebetshalle
Shri Nathung, der Gründer des Klosters
Chenresi, die tibetische Form des Bodhisattvas Avalokiteshvara

Etliche sind Soldaten und in dieser Rolle kamen sie vermutlich auch nach Burma. Merke: Nicht jeder Gurkha gehört dem gleichnamigen Volk an und ist ein Hindu. Er kann auch einem anderen nepalesischen Volk angehören! Wie z. B. den Tamang. In Myanmar gibt es ca. 350 Tamang-Haushalte, fast die Hälfte davon lebt in Maymyo (Pyin Oo Lwin). Merkwürdigerweise nennen die Tamang ihren Tempel manchmal selbst Gurkha-Tempel, obwohl die Gurkhas definitiv Hindus sind. 

Der Tempel mit angeschlossenem Kloster liegt im Norden von Pyin Oo Lwin. Er ist der größte dieses Volkes (andere z. B. in Myitkyina und Yangon). Er wurde von einem Tamang-Guru namens Sri Nathung gegründet, der 1933 nach British Burma kam. Er gehörte der Sekte der Rotmützen (Nyingmapa) an. Bereits zwei Jahre später stand das Kloster und heute ist es zu einer imposanten Anlage gediehen. Der noch erhaltene alte hölzerne Bau wurde durch einen Ziegelbau ersetzt und der kleine Tempel ausgebaut. Wie mir der Abt des Klosters, Herr Yang Lama, erzählte, besteht der Plan, den Tempel mit 108 Gebetsmühlen zu umgeben. Derzeit leben in dem Kloster fünf Mönche und ein Novize. Zu den großen Festen reisen die Gläubigen aus dem ganzen Lande an. Rechts vom Tempel sind etliche Chörten (tibetische Stupas zu sehen).

Ich besuche regelmäßig dieses ruhige und friedliche Kloster und unterhalte mich mit den Mönchen. Meist mit Yang Lama, dem ‚Abt‘, der Englisch spricht. Als ich eines Tages hereinschneite, war er damit beschäftigt, Öllämpchen für eine Zeremonie vorzubereiten. Er sagte mir, dass er 108 benötige. Da ich immer ein offenes Ohr für die Numerologie betreffende Angelegenheiten habe, fragte ich ihn: „Warum 108?“. Er erklärte mir, dass sich die Zahl wie folgt zusammensetze: 52 höhere Chakras (vom Kopf bis zum Nabel) und 48 niedere Chakras (vom Nabel bis zu den Füßen). Hinzu kämen die fünf Buddhas Vairocana, Amoghasiddhi, Amitabha, Ratnasambhava und  Aksobhya. Auch Tathagatas genannt. Die drei Juwelen (Buddha, Dharma und Sangha) komplettierten die Zahl. Für mich insofern interessant, als ich 108 für eine rein astrologische Zahl halte. Allerdings bezieht sich dies auf den in Myanmar vorherrschenden Theravada-Buddhismus, während der tibetische Buddhismus zur Mahayana-Schule zählt.   

Yang Lama und der Autor in der Gebetshalle