Buddhismus 11 – Unterschiedliche Sichtweisen

Der Buddhismus ist sicher eines der auffallendsten und faszinierendsten Phänomene für ausländische Besucher Myanmars: Pagoden, Mönche und fromme, ins Gebet versunkene Menschen prägen sein Bild. Manchen gilt Myanmar gar als das ‚buddhistische Land‘ schlechthin – seien sie Burmesen oder Touristen.

Beginnen wir mit den Gastgebern, den Bewohnern Myanmars, so weit sie der Lehre des Erleuchteten folgen: Viele sehen ihr Land traditionell als Hüter des Buddhismus (‚To be a Burmese is to be a Buddhist‘ lautet ein bekanntes Schlagwort). Ich nenne hier als Beispiele für diesen Anspruch die beiden Synoden im 19. und 20. Jahrhundert, aber auch die ‚Universität für ausländische buddhistische Missionare‘ und Aktivitäten wie den ‘Buddhist Summit‘ im Jahre 2004. Leider werden nicht wenige einheimische Reiseleiter dadurch zu der Ansicht verleitet, dass die Tatsache, Burmese und/oder Buddhist zu sein, gleichbedeutend mit Kompetenz auf diesem Feld ist. Ich halte das für eine Illusion. Daher ist es auch in keiner Weise angebracht – wie ich es erlebt habe – scheinbar naive Fragen von Gästen mit einem wissenden, überlegenen Lächeln abzutun. Da der Ausländer das ja eh nicht versteht! Es gibt sicherlich viele Burmesen, die erheblich mehr über den Buddhismus wissen als die überwiegende Mehrheit der ausländischen Besucher. Nur sollte man sich als Reiseleiter selbstkritisch die Frage stellen: ‚Gehöre ich wirklich zu denen, die unsere Religion kennen?‘

Schauen wir uns doch einmal die Rede Buddhas vor den Einwohnern der Stadt Kalama (Kalama-Sutta) selbstkritisch näher an: Darin ermahnte der Buddha selbst die Menschen, seiner Lehre nicht blind zu vertrauen! Als die Einwohner Kalamas ihn fragten, wie man denn nun die Wahrheit über etwas herausfinden könne, gab er folgende Antwort:

„Glaubt nicht an etwas, weil ihr es gehört habt; glaubt nicht an Traditionen, weil sie seit Generationen überliefert sind; glaubt nicht an Gerüchte, auch wenn sie von vielen weitergetragen werden; glaubt nicht an etwas, weil es in Euren heiligen Büchern steht; und glaubt auch nicht an etwas, nur weil es Eure Eltern und Lehrer sagen. Jedoch, wenn ihr die Dinge betrachtet und analysiert habt und sie mit der Vernunft übereinstimmen sowie von Nutzen für einen und alle sind, dann akzeptiert es und lebt danach.”

Können alle Buddhisten in Myanmar wirklich von sich sagen, dass sie diesen Ratschlag Buddhas beherzigen? Das sollte jeder für sich selbst einmal kritisch nachprüfen! General Aung San kam jedenfalls in seinem Aufsatz ‘Burma und der Buddhismus‘ zu folgendem Ergebnis:

Burma ist seit vielen Jahrhunderten ein buddhistisches Land; wenn man sich jedoch umschaut, kann man nur zu einem Ergebnis gelangen: Die kritische Betrachtung, die Essenz des Buddhismus, fehlt hier. Die Burmesen sollten ein bisschen tiefer schürfen, 

als sie es derzeit tun und sich nicht mit oberflächlicher Betrachtung zufrieden geben. Wenn wir beispielsweise solche Dinge wie Pagodenfeste, Mönchsbestattungen, Wasserfeste und Lichterfeste kritisch betrachten, stellt sich die Frage: sind diese Dinge wesentlich für die buddhistische Religion? Sicher, es gab Zeiten, als ignorante und ungläubige ebenso wie gottlose Menschen mit Hilfe dieser Veranstaltungen in die buddhistischen Tempel gelockt werden mussten, um dort die Lehre zu hören. Wir aber leben in modernen Zeiten, und wenn wir diesen kritischen Text zugrunde legen, wird klar, dass diese Dinge unbedingt abgeschafft gehören, weil sie nicht nur für unsere Religion unwesentlich sind, sondern sogar dazu führen können, unsere Religion zu einer reinen Formsache zu degradieren.‘

Und was sagte mir ein Teilnehmer während eines Reiseleiter-Seminars, als wir diese Aussage Aung Sans diskutierten? „Ach, Aung San versteht davon nichts, der war doch Kommunist!“ So einfach ist das also! Dabei sind die von Aung San aufgeworfenen Fragen absolut wichtig!! Dass der Aufsatz Anfang der 30er-Jahre erschien, verstärkt das Gewicht der Ausführungen Aung Sans erheblich. Denn damals war die Frömmigkeit vermutlich noch intensiver als heute.

Es ist in Myanmar wenig bekannt, dass es auch im Westen nicht wenige Buddhisten gibt, deren Zahl stetig zunimmt. Damit meine ich nicht Auswanderer aus buddhistischen Ländern, sondern Europäer oder Amerikaner, auf die der Buddhismus eine große Anziehungskraft ausübt. Sie haben sich mit ihm beschäftigt, ja, ihn zum Teil sogar als Religion angenommen, weil er sie durch seine Klarheit fasziniert. Im Westen nimmt die Zahl derjenigen, die sich für den Buddhismus interessieren, stetig zu: Zeitungsartikel und Bücher sind ein guter Indikator dafür. Die Ausländer, die sich damit beschäftigen, stehen der Art und Weise, wie die Religion in ihren angestammten Ländern praktiziert wird, nicht selten verständnislos gegenüber. Und das nicht erst seit den Tagen des Massentourismus. Nicht wenige fragen sich: „Was hat das hier mit Buddhismus zu tun?“ Als Beispiel sei der berühmte deutsche Schriftsteller Hermann HESSE (1877-1962) genannt, dessen wohl bekanntestes Werk Der Steppenwolf ist. Er hat sich intensiv mit dieser Religion beschäftigt (u. a. in seinen Werken Siddharta, Aus Indien). Auf einer Reise nach Sri Lanka wurde er mit dem dort praktizierten Buddhismus konfrontiert, über den er ein vernichtendes Urteil fällt:

Anlässlich eines Besuches im Dalada-Maligawa-Tempel in der Stadt Kandy, der die bekannte Zahnreliquie (daher auch ‚Zahntempel‘ genannt) enthält, schreibt er: „Ohne viel Überlegung bog ich in der Finsternis in den Tempelweg ein und stand nach einer Weile überm dunklen Wasser am Eingang des alten Heiligtums, in welchem der schöne, lichte Buddhismus zu einer wahren Rarität von Götzendienst gediehen ist, neben dem auch der spanischste Katholizismus noch geistig erscheint…“