Gurkha-Tempel in Pyin Oo Lwin
Seitdem ich in meiner neuen Wahlheimat Pyin Oo Lwin (Maymyo) lebe, hat mich das multikulturelle Leben dort fasziniert. Die Siedlung wurde 1885 als Hill Station von den Briten begründet, wobei Colonel May (5. Bengal Infantry) eine führende Rolle spielte. Wenn man an den Namen des Colonels das burmesische Wort für Stadt (myo) anhängt, ergibt sich Maymyo. So einfach ist das. Sie diente während der britischen Kolonialzeit als Sommerresidenz des Gouverneurs. Aus dieser Zeit sind noch zahlreiche kolonialzeitlich Bauten erhalten, die dem Ort seinen besonderen Reiz verleihen. 1990 wurde die Stadt in Pyin Oo Lwin umbenannt, was der Name einer Shan-Siedlung war, die sich schon lange vor der Gründung der Hill Station dort befand. Obwohl die Stadt im Shan-Gebirge liegt, gehört sie administrativ zur Region Mandalay. Heute wird sie weitgehend geprägt durch die Militärakademie, überall sieht man Kadetten in Uniform. Pyin Oo Lwin könnte man fast kosmopolitisch nennen. Hier leben bis heute Angehörige vieler Minderheiten, die in der britischen Kolonialzeit eine bedeutende Rolle spielten. An erster Stelle sind da die Inder zu nennen. Ich stehe erst am Anfang meiner Forschungen hier und habe mich bisher vor allem den Gurkhas beschäftigt, daneben mit Hindu-Tempelfesten.
Der wichtigste Tempelkomplex der nepalesischen Gurkha-Gemeinde (burm. Gorakha) liegt am südlichen Ende der Aung Zeya Road in Maymyos Downtown. Er wird in der Regel Pashupatinath-Tempel genannt. Was nicht ganz richtig ist, denn streng genommen handelt es sich um zwei Tempel: den großen Durga-Tempel und den kleineren Pashupatinath-Tempel. Ersterer ist der Göttin Durga geweiht, die von den Burmesen als Nat unter dem Namen Durga Maedaw verehrt wird. Er spielt bei dem Tempelfest, über das ich unten berichte, nur eine Nebenrolle. Der kleinere Pashupatinath-Tempel hat eine interessante Geschichte, obwohl er noch gar nicht so alt ist. Er wurde 1964 vom nepalesischen König Mahendra (1920-1972) gestiftet.
Letzterer wurde von den in Myanmar lebenden Nepalesen als Schutzherr betrachtet. Die Monarchie ist allerdings in Nepal seit 2008 abgeschafft. Der Tempel ist dem Gott Shiva geweiht, der von vielen Gläubigen als Schutzherr Nepals verehrt wird. Hier in seiner Form als Pashupati, d. h. Herr der Tiere. Eine sehr alte Inkarnation des Gottes, denn bereits in der Induskultur (3. Jahrtausend B. C.) war eine ähnliche Gottheit Gegenstand der Verehrung. Vor dem Tempel steht eine Statue des Bullen Nandi, Reittier Shivas und eine von Hanuman, allgemein gern als ‚Affengott‘ bezeichnet. Was natürlich eine etwas krude Vereinfachung ist.
Als Vorbild für diesen Tempel gilt sein weltberühmter Namensvetter im Kathmandutal, eine der wichtigsten hinduistischen Pilgerstätten der Welt. Sie liegt am Bagmati-Fluss, einem Nebenfluss des Ganges, und besteht angeblich seit ca. 400 B. C.! Der Tempel in Pyin Oo Lwin selbst ist unspektakulär, zwei Stiftertafeln (eine in Burmesisch, die andere in Nepali) erzählen die Geschichte seiner Stiftung. Dahinter befindet sich ein interessantes Labyrinth, in dessen Zentrum eine runde Kultstätte steht, die einen Shivalinga (häufig vereinfachend als Phallussymbol gedeutet) enthält. Es ist aus Ziegeln gemauert (so vermute ich), die mit Marmorplatten verkleidet wurden. Insgesamt 64 marmorne Shivalingas sind in unregelmäßigen Abständen auf dessen Mauern aufgestellt. Leider war niemand im Tempel in der Lage, mir zu erklären, was es mit dem Irrgarten auf sich hat. Angeblich soll es nach dem Vorbild eines ähnlichen Bauwerks im Pashupatinath-Tempel im Kathmandutal errichtet worden sein. Allerdings ist mir ein solches Bauwerk dort nicht bekannt und auch Freunde, die vor Ort in Nepal besser Bescheid wissen als ich, kennen es nicht. Hinter dem Labyrinth befindet sich ein kleinerer Tempel mit den neun Planetengottheiten (navagraha). Diese unterscheiden sich deutlich von ihren burmesischen Artgenossen. So ist z. B. der Nordosten dem Shiva in seiner Form als Ishana (vgl. Isan/Thailand) geweiht, während in Myanmar der Adler (Garuda) sein Symboltier ist.
Shivratri (die Nacht des Shiva) ist eines der wichtigsten Feste für die Anhänger des Gottes, die Shaivas genannt werde. Es fällt immer auf die Nacht zwischen dem 13. und 14. Tag des Hindu-Monats Phalgun und symbolisiert den Sieg des Lichtes über die Finsternis und das Ende des Winters. Im Volksglauben wird sie als die Hochzeit von Shiva und Parvati gedeutet. Im Gegensatz zu den meisten Festen der Hindus wird dieses Fest nachts gefeiert. Es dauert drei Tage, der Höhepunkt ist die letzte Nacht. In den Tempeln werden Tausende von Öllämpchen aufgestellt. Überall sieht man Opfergaben, überwiegend Früchte. Es wird gefastet, meditiert, es werden Gebete gesprochen und das Mantra OM Namah Shivaya (OM ist die Verehrung Shivas) pausenlos rezitiert. An diesem Tag sah ich auch erstmals eine Prozession in dem Labyrinth. Viele Frauen mit Kindern wandelten durch seine engen Gassen und die Shivalingas wurde mit Milch übergossen. Etliche Gläubige ließen Kleidungsstücke als Opfergaben dort zurück. Es war ein unbeschreiblich stimmungsvoller Abend mit vielen fröhlichen Menschen, von denen etliche Festtagsgewänder trugen. Einige verrichteten dort ihre frommen Werke, andere standen nur da und unterhielten sich. In der Festhalle hatten sich viele Gläubige versammelt und lauschten der Musik.