Die Inder
Inder werden von den Einwohnern Myanmars allgemein als kala: bezeichnet. Die Herkunft dieses Begriffes ist nicht klar: Manche meinen, es bedeute ‚die übers Meer Gekommenen‘, andere dagegen glauben, es stehe für ‚heilige Rasse‘. Wie auch immer: Es gilt allgemein als Schimpfwort und sollte nicht verwendet werden! Inder gelten in Myanmar gemeinhin als nicht besonders angenehme Zeitgenossen. Ein Erbe der Kolonialzeit, als sie unter dem Schutz der Engländer zu Millionen ins Land kamen und – nach burmesischer Ansicht – bei deren Unterdrückung und Ausbeutung tatkräftig mithalfen. Viele Soldaten in der Kolonialarmee waren indischer bzw. nepalesischer Herkunft (Sikhs, Gurkhas usw.), ihre Nachfahren sind heute noch zahlreich in den Hill Stations des Landes zu finden.
Die indische Migration nach Burma wurde von den Briten stark gefördert. Bis Mitte der 30er-Jahre gab es in dieser Hinsicht überhaupt kein Problem, da Burma eine Provinz Britisch-Indiens war. Damals stellten die Inder an die zehn Prozent der Bevölkerung des Landes. Rangoon, die Hauptstadt des Landes, war praktisch eine indische Stadt, sieben von zehn Einwohnern stammten aus Indien. In den 20er-Jahren machte Rangoon sogar New York als größtem Einwandererhafen der Welt Konkurrenz. Sehr viele der Migranten hatten nicht im Sinn, sich permanent in Burma niederzulassen, sondern kamen als Saisonarbeiter. Vor allem solche aus den Armenhäusern Britisch-Indiens wie den heutigen Unionsstaaten Tamil Nadu, Bihar und Ost-Bengalen. Andere wiederum kamen als Kaufleute (z. B. Marwari, Jains, Parsi). Die geschäftstüchtigen Neulinge kontrollierten schon bald große Teile des Geschäftslebens im Lande. Vor allem die Chettiyars, eine Kaste von Geldverleihern aus dem südindischen Tamil Nadu, gelangten zu großem Reichtum. Moslemische Inder waren im Handel erfolgreich und auch in den Verwaltungsberufen dominierten die Fremden. Dies rief den Neid der Burmesen hervor, die dunkle Hautfarbe mancher Inder (z. B. Tamilen) tat das ihre. Hinzu kam das Problem Religion: Während den Hindus noch einen gewisse Toleranz entgegengebracht wurde, traf das auf die Moslems nicht zu. Die Spannungen entluden sich u. a. während der Dockarbeiterstreiks in Rangoon Anfang der 30er Jahre, als sich Burmesen und Inder gegenseitig massakrierten.
Die Wende kam 1942 mit dem Einmarsch der Japaner. Die meisten Inder und Ausländer verließen fluchtartig das Land. Diejenigen, die sich keine Schiffspassage leisten konnten, machten sich zu Fuß auf den mehr als 600 km langen Weg ins rettende Mutterland. Tausende kamen auf der Flucht ums Leben. Nach der Rückkehr der Briten kamen etliche von ihnen zurück. Spätestens nach der Unabhängigkeit 1948 standen die Zeichen an der Wand. Die burmesische Regierung ‚ermutigte‘ viele Inder durch schikanöse Maßnahmen zum Verlassen des Landes. Die Machtübernahme des Militärs 1962 führte zu einem neuen Schub. Heute stellen die Inder nur noch eine kleine Minderheit im Lande dar.
Der indische Autor N.R. Chakravarti liefert in dem Buch The Indian Minority in Burma* eine gute Zusammenfassung der Geschichte der indischen Migration nach Burma. Natürlich aus indischer Sicht – alles gar nicht so wild! Allerdings scheint mir, dass er bei der Angabe der Prozentzahlen ein bisschen geschummelt hat, indem er nur Inder erfasst hat, die sich in Burma niedergelassen hatten (‚... excluding casual labourers und seasonal immigrants who were merely birds of passage).
*(https://www.amazon.de/Indian-Minority-Burma-Immigrant-Community/dp/0192181947)