Die burmesische Schrift - ein kleiner Exkurs
Wer Burmesisch studieren will (in Deutschland ist das nicht einfach!), sollte unbedingt die Schrift erlernen. Diese hat mich fasziniert, seitdem ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Im Ausland wird sie oft mit leicht herabsetzenden Namen bezeichnet: Blasenschrift (bubble script), Brezelschrift (pretzel script) usw. Dem ungeübten Betrachter erscheint sie wie eine willkürliche Anhäufung von Kreisen. Wer genauer hinschaut, erkennt geschlossene und offene ‚Kringel‘.
Mir erscheint die Schrift wie ein Abbild des Harmoniebedürfnisses der Burmesen: Alles ist rund, kaum Ecken, die herausstehen – ich finde sie einfach toll und kenne keine schönere. Interessanterweise gab es in der Entwicklung der Schrift Phasen, in denen alle Buchstaben eckig waren! Wie auch immer: Das Wesen der ‚Brezelschrift‘ wurde mir schlagartig klar, als ich einmal im Thanboddhaye-Tempel in Monywa einem Arbeiter zuschaute. Dieser versah von Gläubigen gestiftete Sitzbänke mit Stifterinschriften. Sie waren aus mit Zement verputzten Ziegelsteinen gebaut. Als Werkzeug diente ihm ein kurzes Stück PVC-Rohr, das an einer Seite glatt abgeschnitten war (geschlossener Kreis = ‚o‘). Auf der anderen war ein Abschnitt ausgespart, der etwa einem Viertel des Umfangs entsprach (offener Kreis = ‚c‘). Der Mann drückte in den noch frischen Putz mit seinem Werkzeug den Teil der Stifternamen ein, die aus besagten Elementen bestanden. Ich schätze, dass diese etwa 80 % des Textes ausmachten. Vermutlich hatte er noch ein zweites Rohr mit geringerem Querschnitt dabei, mit dem er weitere 10 bis 15 % bewältigte – faszinierend! Der Rest musste dann von Hand oder mit speziellen Werkzeugen eingedrückt werden.
Ich hatte vor meiner Begegnung mit dem burmesischen Alphabet schon andere Abkömmlinge der Brahmi-Schrift (oft ‚indische Schriften‘ genannt) studiert, nämlich Tamil und Devanagari. Zu meinem damaligen Erstaunen ähnelten sie der Stenografie sehr, die ich in der Handelsschule erlernt hatte. Insofern war mir das Prinzip bereits bekannt. Insgesamt gibt es mehr als hundert davon in Indien und Südostasien. Sie stellen eine Kombination aus Silbenschrift und Buchstabenschrift dar. Burmesisch teilt das Schicksal vieler Tonsprachen in Südostasien: Die Schrift passt nicht zur Sprache! Man könnte fast sagen, dass die Burmesen mit der übermächtigen Kultur Indiens konfrontiert wurden, bevor sie Gelegenheit hatten, ein eigenes, ihrer Artikulation besser entsprechendes Alphabet zu entwickeln. Dieses Problem wird gemeinhin als ‚Hybridität‘ bezeichnet. So mussten zahlreiche Zeichen ‚hinzuerfunden‘ werden, mit denen die Tonhöhen gekennzeichnet wurden.
Auf den ersten Blick scheint es, als ob die burmesische Schrift äußerst schwierig zu erlernen sei. Dem ist NICHT so – wenn man die Sache systematisch angeht! Im Grunde genommen besteht die Schrift (vereinfacht gesehen) zu mehr als 80 % aus den lateinischen Buchstaben ‚o‘ und ‚c‘. Wirklich!
Fangen wir mit dem ‚c‘ an: In der uns bekannten Form steht es für den burmesischen Buchstaben nga., den 5. im Alphabet. Wenn man ihn spiegelverkehrt schreibt, wird die Zahl eins (ti‘) daraus. Legen wir es auf den Rücken (Öffnung nach oben) bedeutet es pa. Zeigt sie nach unten, wird ga daraus. Aber das ist erst der Anfang: Zwei miteinander verbundene ga ergeben ein ka, spiegelverkehrt wird ya daraus. Fügt man diesem an der linken Seite ein Häkchen (Mini-‚c‘) hinzu, erhalten wir ein gha. Kombiniert man pa und ti‘ entsteht ein ha. Stellt man dieses auf den Kopf, wird la daraus. Wichtig ist, wo die Zeichen miteinander verbunden sind. Zwei ti‘, die oben zusammentreffen, ergeben ba. Geschieht das unten, wird ein dha! (ähnlich dem englischen ti-äitsch) daraus. So wirkt z. B. das Wort ba dha (bedeutet
u. a. Religion) auf den ungeübten Betrachter wie eine willkürliche Aneinander-reihung von ‚c‘s– faszinierend!
Das ‚o‘ birgt weniger Kombinationsmöglichkeiten: Egal, ob man es auf den Kopf stellt oder es spiegelverkehrt schreibt – es verändert sich nicht! Das ‚o‘ steht für wa und wenn man zwei verbindet, wird ein hta daraus. Aber da gibt es ja zum Glück noch das ahsan (wörtl. Korn), ein kleiner Achtelkreis, den man in die Buchstaben ‚einbauen‘ kann. Zeigt es im ‚o‘ nach links, entsteht ein sa, zeigt es nach unten, ist es ein da. Selbstverständlich kann man auch die ‚c’s damit ‚verzieren‘. Die Zahl ti‘mit einem ahsan unten drin ergibt ein kha, tun wir dasselbe mit dem pa, wird ma daraus. Wird das er Und wie gehabt kann man diese Elemente miteinander verbinden: Ein ‚o‘ (links), dem ein ti‘ (oben) angefügt ist, wird zum ta usw. Die Buchstaben haben wunderschöne Namen: ‚Auf dem Rücken liegendes ya‘, ‚Elefantenfessel-hta‘, ‚Enten-hta‘, ‚buckliges hta‘, ‚bauchiges ta‘, ‚buckliges ba‘ usw. Damit entfällt für die Burmesen auch die Notwendigkeit eines Buchstabieralphabets. Ich liebe die burmesische Schrift!