Myanmars bunte Dämonenwelt

Die Myanmar Times veröffentlichte 2015 in ihrer Wochenendbeilage dankenswerterweise einen ‘ghost guide’. Dort tauchten Geister auf, deren ‘Existenz’ mir bis dahin verborgen geblieben waren, die aber bei meinen burmesischen Freunden und Mitarbeitern bestens bekannt waren.

Da haben wir zum einen Ma Phae Wah (Yellow Ribbon Lady), die ihr Unwesen auf Friedhöfen treibt und die es nach Menschenfleisch – bevorzugt Kleinkinder – gelüstet. Um Mitternacht schultert sie ihren Sarg und stellt ihn auf der Türschwelle eines Hauses ab, in dem in nächster Zukunft ein Kind stirbt, dessen Leiche sie dann verzehrt. In den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschien sie einem Abt im Karen State im Traum und teilte ihm ihr Verlangen nach Kinderfleisch mit. Der überzeugte sie davon, dass Hundefleisch besser schmecke. Seitdem hängen Eltern, die um das Leben ihrer Kinder besorgt sind, ein Schild vor die Tür, auf dem steht: ‘Hundefleisch ist süß, Babyfleisch ist bitter!’ Ob’s hilft? Weiß keiner …

Kji: sa: soun: (Scheiße fressende Hexen) sind gescheiterte Existenzen. Bei ihrem Versuch, sich die schwarze Magie anzueignen, machten sie entscheidende Fehler. Und endeten als  besagte Kji: sa: soun:. Sie ernähren sich von Exkrementen und Leichenteilen. Tagsüber sehen sie aus wie du und ich. Aber nach Sonnenuntergang löst sich der Kopf vom Körper und fliegt mit heraushängenden Eingeweiden durch die Luft und sucht nach Nahrung. Gerüchteweise verschmäht sie auch die Lebenden nicht. Ein erfahrener Hexenjäger kann sie leicht vernichten, indem er sie mit dem Öl des Thayaw-Baums überschüttet. Dadurch verhindert er, dass sich Kopf und Körper wieder vereinigen, sodass der Armen der Garaus gemacht wird.

Das hilft nun allerdings nicht das Geringste gegen die Phote, die ‘Leichenbeherrscherinnen’. Sie macht sich die Güte derjenigen zunutze, die sich um Sterbenden kümmern. Im Augenblick des Todes schlüpft sie in die sterbliche Hülle. Die Pflegeperson glaubt, dass sie noch immer dem Sterbenden beisteht, aber in Wirklichkeit dient sie schon der Phote. Sie verlangt Menschenfleisch von ihrem Opfer und wenn dieses nicht in der Lage ist, dem Wunsch zu entsprechen, saugt sie dem Unseligen das Blut aus!

Vergleichsweise harmlos, aber nicht weniger gefürchtet ist Chay Kalein Ma (Die Frau mit den verdrehten Beinen). Sie lauert ihren Opfern (in der Regel junge Mädchen, die in Pensionen oder Internaten wohnen), die nachts mal kurz raus müssen, nahe der Toilette auf und erschrickt sie fast zu Tode. Da hilft nur eilige Flucht zurück ins Zimmer, wobei unbedingt darauf zu achten ist, dass sie im Zickzacklauf erfolgt. 

Wer einfach nur geradeaus läuft, hat keine Chance. Am besten ist, ihr aus dem Weg zu gehen, im Bett zu bleiben und die Beine zusammen zu kneifen. Hilft übrigens auch gegen zudringliche Verehrer! Bei der Auswahl Letzterer kann der Phyar Late Nat, der Bambusmatten-Geist, hilfreich sein. Wenn die Eltern abwesend sind, rollen die daheim gebliebenen Mädchen (funktioniert nicht bei Jungen!) eine Bambusmatte zusammen, stellen sie aufrecht hin und kleiden sie in einen weiblichen (!) Longyi und eine Bluse. Dann bitten sie den Geist, von der Matte Besitz zu ergreifen. Nachdem das erfolgt ist, stellen sie ihm Fragen, die er beantwortet. Am meisten interessiert natürlich, wo der Zukünftige wohnt. Dazu wird dann die Bambusmatte angetippt und fällt in die Richtung, in der jener lebt. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Jedes Mädchen kennt Geschichten von solchen Séancen, die furchtbar schief gingen und zu großem Unheil führten. 

Unsere kleine Geisterschau endet mit dem Phonegyi thaye, dem Mönchsgeist. Während man sich in der christlichen Kultur angesichts von schrecklichen Bedrohungen bekreuzigt, wird in der buddhistischen Welt dem Bösen durch das Rezitieren von Pali-Versen begegnet. Doch Vorsicht: Das hilft nicht im Geringsten gegen den Mönchsgeist! Dieser war seiner vorherigen Inkarnation zu sehr verhaftet und hat es nicht geschafft, in den Kreislauf der Wiedergeburten einzutreten. Sozusagen eine weitere gescheiterte Existenz. Daher ist er dazu verdammt, herumzuspuken. Er beherrscht Pali und daher haben die Pali-Verse gegen ihn keine Wirkung. Wer ihm begegnet, hat nur eine Wahl: fliehen, egal ob geradeaus oder im Zickzack. Bloß so schnell wie möglich!!!

Vergleichsweise harmlos ist dagegen eine Begegnung, die eine meiner lokalen Reiseleiterinnen in Bagan hatte. Während einer Gruppenreise war sie – eine junge, jedoch sehr bodenständige Person, wie es schien – im Reiseleiterflügel des Thiripyitsaya-Hotels untergebracht. Zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass sie die einzige Reiseleiterin in dem Gebäude war, keine Kollegen! Sie erzählte mir, dass sie große Angst habe, die Nacht dort allein zu verbringen. Ich – Gentleman von Kopf bis Fuß – bot ihr an, in meinem Zimmer zu übernachten. Ganz in Ehren versteht sich – wie Bruder und Schwester! Leider bevorzugte sie die Gesellschaft von Geistern … Am nächsten Morgen fragte ich, wie es ihr ergangen sei. Sie war völlig aufgelöst und berichtete, dass in der Nacht sieben Klosterschüler nackt um ihr Bett tanzten. Sie hätten versucht, ihr die Bettdecke wegzuziehen. Nackte Novizen, was für eine Phantasie die Leute besitzen …