Myanmars Bildungssystem

In der Mittelschule (Foto Otto Esche, Im Land der weißen Elefanten)

Myanmar hat schon bei frühen Reisenden für Bewunderung gesorgt: Nicht wenige berichten, dass fast alle Männer lesen und schreiben konnten! Und auch unter Frauen und Mädchen seien solche Kenntnisse weit verbreitet. Das war zu einer Zeit, als in Europa ein Großteil der Bevölkerung noch aus Analphabeten bestand, schon etwas Besonderes. Als Schulen dienten seinerzeit die Klöster, denn jeder Knabe absolvierte dort seine Novizenzeit. Und bekam die Grundbegriffe des Lesens, Schreibens und Rechnens vermittelt. Noch heute rühmt sich das Land seiner relativ hohen Alphabetisierungsrate – aber man schaut besser nicht allzu genau hin. Zwar gibt es eine Schulpflicht bis zur 4. Klasse, aber manche Kinder erreichen nicht einmal dieses bescheidene Level. Bei nicht wenigen beschränken sich die Kenntnisse auf nicht viel mehr als die Fähigkeit, den eigenen Namen schreiben zu können. Mit anderen Worten: Das Schulsystem in Myanmar ist verbesserungsfähig, um es freundlich auszudrücken! …

Das Schulsystem besteht aus drei Zweigen: Grundschule (1. bis 4. Klasse), Mittelschule (5. bis 8.) und Oberschule (9. und 10.). Die Zahlen der nationalen Statistik sprechen Bände: Im Schuljahr 2017/18 bevölkerten etwas mehr als 5 Millionen Schüler die knapp 38.000 Grundschulen des Landes. In den knapp 4.000 Middle Schools tummelten sich immerhin noch 3 Millionen und auf den 2287 High Schools waren es eine Million! Von Letzteren erschienen knapp 80 % zur Prüfung. Nicht einmal ein Drittel davon schaffte den High-School-Abschluss!

Doch auf diese Erfolgreichen wartet ein großartiger Lohn: Sie dürfen studieren! Angesichts des Gesagten wäre es eine Überraschung, wenn es auf den Universitäten anders zuginge als an den Schulen. Die Zulassung zum Studium erfolgt anhand eines Numerus-clausus-ähnlichen Systems: Je nach der im Abitur erreichten Punktzahl wird den Absolventen ein Studienplatz zugewiesen: Wer, sagen wir mal, mehr als 450 von 500 möglichen Punkten schafft, darf Medizin studieren und dann immer abwärts bis zum Studium der Landessprache an der Fernuniversität. So kommt es, dass viele Jugendliche in Fächern immatrikuliert sind, die sie nicht im Geringsten interessieren. In meiner Firma bewerben sich Zoologen, Chemiker und sonst was – schließlich hat man die Punktzahl nicht umsonst erreicht …

 

Studenten in Nationaltracht bei der Abschlussfeier (Foto: Otto Esche, s. o.)

Viele Hochschulabsolventen haben nicht den geringsten Schimmer von ihrem Studienfach. In dem sie immerhin einen Abschluss haben. Beim Studium kommt es nämlich nicht darauf an, was man studiert hat. Was zählt, ist das schöne Foto mit dem schwarzen Umhang (verziert mit Borten diverser Farben, je nach Studienfach) und dem mortarboard (Barett) auf dem Kopf, das an der Fotowand jeder Familie einen Ehrenplatz hat. Ach, und – nicht zu vergessen natürlich – die schönen Titel, die man sich auf die Visitenkarte schreiben kann (siehe Kapitel Anade!). Zum Vergleich: In Deutschland hatte im Jahre 2017 ein  Drittel der über 15-jährigen Einwohner das Abitur. In der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen waren es über die Hälfte. Was nach meiner Meinung nicht unbedingt etwas über deren Qualifikation aussagt. Und über 30 % der Deutschen zwischen 25 und 65 besitzen einen Hochschulabschluss. Womit das Land im europäischen Vergleich schlecht dasteht. Der schlechte Zustand des Schulsystems (bis hinauf zum höheren Level) wird von vielen darauf 

zurückgeführt, dass nach der Machtübernahme Ne Wins (1962) nicht nur alle Missionare des Landes verwiesen, sondern auch die Missionsschulen in das nationale Schulsystem überführt wurden. Die Lehrer, so weit sie Ausländer waren, mussten ihre Siebensachen packen. Aber auch heute, mehr als fünfzig Jahre nach deren Rausschmiss, genießen jene Schulen, in denen sie einst tätig waren, einen besseren Ruf als der traurige Rest. Wer seine Kinder auf eine dieser Lehranstalten schicken will, muss mit ‚Nebenkosten‘ rechnen … Dieser Niedergang mag bedauerlich sein. Auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass das höhere Schulsystem eines unabhängigen Landes von ausländischen Lehrkräften abhängig ist. Die ihren burmesischen Schülern englische Namen verpassen, die sie z. T. heute noch tragen. Ein schwieriges Kapitel … Die Regierung des Landes ist sich darüber klar, dass das Schulsystem reformiert werden muss. Schritte in dieser Richtung wurden bereits unternommen. Wann sie Früchte tragen, bleibt abzuwarten.