Schlangen!

Die arme Schlange!!

Ich lebte lange in Mayangon, einem Township von Yangon, genauer gesagt in der Gegend der A-1-Road an der 9. Meile. Dort hatte ich ein ansprechendes Haus auf einem relativ großen Grundstück gemietet. Im Gegensatz zu den burmesischen Nachbarn, die am liebsten alles zubetonieren oder höchstens ein Stück Rasen dulden, legte ich bzw. meine Freundin einen tropischen Garten an. 

Wir kauften in der Umgebung Büsche und Bäume, die schon eine gewisse Größe erreicht hatte, bereicherten die Baumschulen und legten einen Fischteich an. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich das triste, von Peitschenmasten erleuchtete, spärlich mit Rasen bepflanzte Grundstück in eine grüne Oase verwandelt. Man sagt nicht umsonst, dass man in den Tropen einen Spazierstock in den Boden stecken kann und der nach drei Tagen anfängt zu keimen. Was vielleicht etwas übertrieben ist. In dem grünen Paradies fühlten sich alle möglichen Tiere wohl, zumal Schlangen, die in meinem Fischteich einen reich gedeckten Tisch fanden: Frösche und träge Goldfische in Massen! Meines Erachtens hat so einen Garten etliche Vorteile: Zum einen sieht er einfach schön aus und zum anderem kommt das ganze Viehzeug nicht ins Haus! Was macht denn so eine Schlange oder ein Skorpion auf einem zubetonierten Grundstück? Sucht sich den nächstbesten Unterschlupf – und das ist das Haus. Im Gegensatz zu vielen anderen hier im Lande hatte ich nie einen gefährlichen Besucher dort. Nun war, wie schon gesagt, der Tisch in meinem Garten für Schlangen reich gedeckt – jedoch barg er auch eine tödliche Gefahr: Meinen Gärtner! Ko Oo ist ein echter Naturbursche, der der Chin-Nation angehört, und offenbar stehen dort in seiner Heimat Reptilien nicht selten auf der Speisekarte. Der Kerl hat keine Angst vor den Viechern und ich glaube, er kann sie mit bloßen Händen packen. Vor allem in der Regenzeit gab es viele Schlangen im Garten, manchmal fing er drei Exemplare pro Woche. Auf dem Foto ist eines seiner Opfer zu sehen, das sich in unserem Fischteich bedient hatte. Das Corpus Delicti ist deutlich zu erkennen. Nachdem er uns stolz seine Beute präsentiert hatte, quetschte er den Fisch aus der Schlange heraus und verfütterte ihn an die Katze. Das arme Reptil wanderte in die Bratpfanne.   

Im Abendland wird die Schlange negativ betrachtet (Wer gab denn Eva den Apfel der Erkenntnis?) und mit Hinterlist, Gemeinheit und Hass in Verbindung gebracht. Im tibetischen ‚Rad des Lebens‘ (Sanskrit: bhavachakra) symbolisiert sie ebenfalls den Hass (Skrt.: dosa) und Krishna besiegte den Schlangenkönig. Und bei den Tamilen heißt die gefürchtete Kobra gar nalla pambu – die gute Schlange!

Ansonsten aber werden Schlangen im indischen Kulturraum, der den Subkontinent selbst und den größten Teil Südostasiens umfasst, positiv betrachtet. Sie verkörpern das feuchte Element: Nicht umsonst finden sich auf den Holzdächern der Kultbauten in Myanmar zahllose Nayas, schlangenähnliche Wesen, die das Bauwerk vor Bränden schützen sollen. Leider nicht immer mit Erfolg. Oder die Weltenschlange Ananta, auf der Vishnu ruht, der Schlangenkönig Muchalinda, der den Buddha bei einem Unwetter beschirmte – es gibt zahlreiche Beispiele!(siehe Foto) 

Eines Tages war unser Freund Sonny zu Besuch, der als Seemann in der Welt herumgekommen ist. Er spricht gut Englisch und hat im Vergleich zu anderen Burmesen sogar etwas Weltläufiges. Im Laufe unseres Gesprächs erwähnte ich beiläufig, dass wir dieses Jahr wieder sehr viele Schlangen im Garten hätten. „Wirklich? Das ist doch gefährlich! Wie schützt Ihr Euch dagegen?“ fragte er. „Ach, kein Problem, unser Gärtner fängt die alle weg!“  – „Na, dann ist es ja gut! Was macht Euer Gärtner denn mit den Schlangen?“. – „Na, der isst sie natürlich auf! Die ganze Familie isst gern Schlangenfleisch!“ sagte ich ganz unschuldig. Sonny wurde bleich: „Wie bitte? Die essen die auf? Das kann doch nicht sein!“. „Wieso, was ist daran so schlimm?“ fragte ich. „Ja weißt du denn nicht, dass Schlangen genau so wie wir Menschen in Familien leben? Die geben immer Obacht aufeinander. Wenn jetzt dein Gärtner eine Schlange tötet, kannst du sicher sein, dass der Mord von einer verwandten Schlange beobachtet wird. Und die rächt sich dann!“. „Sachma, spinnst du Sonny?“ fragte ich ungläubig, „Das ist ja der größte Quatsch, den ich jemals gehört habe!“. Der ruhige Sonny wurde ein bisschen ärgerlich: „Man darf Schlangen nicht töten! Das bringt großes Unglück! Ihr Ausländer meint immer, ihr seid so klug, aber in Wirklichkeit versteht ihr gar nichts von unserem Land!“ warf er mir vor. „Du, ich glaube, wir reden besser von etwas anderem, diese Diskussion bringt doch nichts!“, sagte ich und wechselte das Thema.

Nicht lange danach schaute Sonnys Freund Tony vorbei, der burmesische Elvis. Er hatte mir auf vielen Reisen als einheimischer Reiseleiter (local guide) zur Seite gestanden. Wir sprachen über dies und das (meist natürlich über Rockmusik) und irgendwie kamen wir auf Sonny zu sprechen: „Du Tony, dein Freund Sonny spinnt ja auch ein bisschen, oder?“ – „Wieso?“

 

Ich erzählte ihm die Geschichte und er fasste sich an den Kopf: „Wirklich, manchmal schäme ich mich für meine eigenen Landsleute. Dieser Aberglaube ist wirklich schlimm!“. Ich war beruhigt: Wenigstens mein Freund Tony war vernünftig! „Obwohl -“ fuhr Tony fort: „Es gibt eine bestimmte Sorte Schlangen, für die das von Sonny Gesagte zutrifft! Aber nur für diese Sorte!“ – „Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir ein: Neulich sah ich eine Schlange im Garten, die etwas auf einen Zettel schrieb: vermutlich Ko Us Namen! Hoffentlich passiert ihm nichts!“, scherzte ich. Und was tat Tony? Er schimpfte genau wie sein Freund Sonny auf die ignoranten Ausländer. Also wieder Themenwechsel und nach einem Drink war die Sache vergessen.

Mir ließ das jedoch keine Ruhe: Konnte es ein Zufall sein, dass meine beiden Freunde identische abstruse Ansichten hegten? Ich versuchte es bei U Saw Aung, dem Geschäftsmann, der für die Firma Staedtler Schreibwaren vertrieb. Als ich einmal in seinem Laden vorbeikam, brachte ich das Gespräch auf seine Freunde Tony und Sonny und er schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Das muss man sich mal vorstellen: Diese beiden haben studiert, sind in der Welt herumgekommen und glauben so einen Quatsch – unfassbar!“. – „Ja, ich kann das auch nicht verstehen! Das sind doch eigentlich ganz aufgeklärte Leute!“, stimmte ich ihm erleichtert zu. „Obwohl: Wenn man eine Schlange tötet, muss man unbedingt den Kopf abschneiden und gesondert vergraben!“ – „Wozu soll das gut sein?“ fragte ich ihn. „Weißt du, im Moment des Todes brennt sich das Spiegelbild des Mörders auf der Netzhaut des Schlangenauges ein. Wenn dann die Verwandten …“ – Aaarrghhh! Ich verließ wortlos den Laden und schwor mir, nie wieder mit einem Burmesen über die Schlangen in meinem Garten zu sprechen: Man will sich schließlich nicht alle Illusionen zerstören lassen …