Eröffnungsfeier Goethe-Institut, Yangon, 1.0

Prospekt zur Eröffnungsfeier (S. 1)

Nach langem Warten war es endlich so weit: Große Eröffnungsfeier des Goethe-Institutes in Yangon! Ich kam dort gegen 19 Uhr an und wunderte mich erst einmal über die seltsame Beleuchtung, die ich für eine Verbeugung vor dem kindlichen Geschmack vieler Burmesen hielt. Die Fenster erstrahlten in unterschiedlichen Neonfarben: bonbonrosa, kotzgrün, hornhautumbra und was die Farbpalette noch so hergibt. Dann wurde mir – wie allen anderen Besuchern auch – ein Zettel in die Hand gedrückt, den ich nur überflog und in die Tasche steckte. Was ich im Nachhinein bedaure. Sonst wäre ich vielleicht besser gerüstet gewesen für das, was mich erwartete.

Also: Das Ganze stand unter dem Motto: The Re-Vibrating Goethe Villa. Wodurch vermutlich der Eindruck erweckt werden sollte, dass hier das in den 60er-Jahren von der burmesischen Regierung geschlossene Goethe-Institut wieder auferstanden sei. Was nicht stimmt. In Wirklichkeit wurde das Gebäude in den 20er-Jahren von einem reichen Chinesen erbaut, dessen Familie vermutlich 1942 vor den einmarschierenden Japanern floh.

Nach dem Krieg diente es als Hauptquartier einer politischen Partei, der AFPFL (Anti Fascist People’s Freedom League), bis diese 1962 vom Militärdiktator Ne Win aufgelöst wurde. Von Ende der 60er-Jahre bis 2003 beherbergte es die staatliche Kunstschule und später wurde es gelegentlich für Ausstellungen benutzt. Alles in allem keinen besonderen ‚Vibrations‘, wenn du mich fragst …   

Ich traf dort etliche Bekannte. Eine von ihnen lud mich zu einem Drink ein. Richtig gelesen: Es gab nicht etwa ein Gratisbüffet mit Drinks, sondern man musste bezahlen! In der armseligsten Hütte in Myanmar bekommt jeder Besucher etwas angeboten. Und sei es eine Tasse Tee. Aber nicht beim Goethe-Institut! Oder hatte man darauf spekuliert, dass den Leuten aufgrund der ‚Performance‘ ohnehin der Appetit vergehen würde? Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dafür kein Geld mehr übrig war, da man es für die ‚Performance‘ zum Fenster hinausgeschmissen hatte.

Diejenigen, die tatsächlich etwas zu sich nehmen wollten, mussten stundenlang anstehen, weil die Angestellten im Café völlig überfordert waren. Nette Einstimmung! Dann sang eine Gruppe schwarzgewandeter Burmesen vor dessen Eingang zu Akkordeonbegleitung die Nationalhymne – zumindest klang das so. Aber es kam noch schlimmer!

Prospekt zur Eröffungsfeier (S. 2)
Zombieland!

Schon gleich nach meiner Ankunft fiel mir eine andere Gruppe von Burmesen auf, deren Mitglieder alle in Weiß gekleidet waren und sogar ihre Gesichter gekalkt hatten. Diese Leute liefen in Zombie-Manier durch den Garten und die Gebäude des Institutes, begleitet von einer entsetzlichen, disharmonischen Musik (Free Jazz?). Die – zum Glück harmlosen – Zombies wandelten im Zeitlupentempo Treppen hinauf und hatten wohl selbst Probleme, ernst zu bleiben. Aber sie schafften es! Dann rief mich ein Freund vom Balkon des Instituts und ich ging nach oben. Am Treppenaufgang standen viele Gäste, die mir den Weg versperrten. Ich ging hinauf und stieß auf einen Europäer in Unterhose, der seine Blöße durch eine silberfarbene Rettungsdecke (?) notdürftig verhüllte. Der Kerl saß auf dem Treppenpodest, umgeben von Hunderten von leeren Plastikflaschen, die er nach unten beförderte – genau mir vor die Füße. Glücklicherweise folgte ich nicht meinem Impuls, dem Penner mal die Meinung zu geigen, und ging wortlos weiter. Oben stand wieder eine größere Ansammlung von Besuchern, die dem Unterhosen-Mann zuschaute. Da wurde mir klar, dass ich hier einer Performance beiwohnte. Später sah ich den Künstler noch durch den Garten schleichen. Unfassbar! Und es gab nicht wenige, die sich von dessen Vorstellung beeindruckt zeigten: Hier werde ein Protest gegen die Wegwerfgesellschaft in eine Performance umgesetzt! Mir selbst fiel nichts mehr dazu ein. Als ich wieder nach unten ging, hatten sich die Zombies unter dem Balkon versammelt, wo sie sich in seltsamen Posten verrenkten. Auf der Treppe standen etliche Schwarzgewandete, von denen einige Zimbeln in der Hand hielten. Vor ihnen hatte sich eine zünftig in einen (indischen!) Khameez Shalwar gekleidete walkürenhafte Blondine fortgeschrittenen Alters vom Typ ‚durchgeknallte Kulturziege‘ postiert. Sie dirigierte – offensichtlich völlig begeistert von sich selbst – den Chor der Schwarzgewandeten, der sehr ausdauernd das Kirchlied Dona Nobis Pacem sang. Wie ich hörte, war sie die Choreographin dieses Unsinns. Und hat vermutlich viel Geld dafür bekommen!

Doch ich tue Frau Sigune von Osten vermutlich Unrecht: Schließlich ist sie eine anerkannte Künstlerin mit eigenem Wikipedia Eintrag! Lesen wir, was die gute Frau sich dabei gedacht hat (Zitat): ‚The most important thing in my creation for the new Goethe Villa was the coming together between my European music friends and young students, musicians and dancers from the MEBC. German and English Canons and sound actions, sung and performed by the choir guide through the performance. The musicians will communicate over far distances and sing together or separately. Traditional and ethnic songs of Myanmar are heard in between*. Nearly all rooms of the villa are filled with this music, and an extraordinary sound sculpture** dominates the new hall. The Re-Vibrating Goethe Villa brings together traditional and new sounds and dance***, young people and experienced masters, Western and Myanmar culture and – last but not least – creates friendship**** between human beings. A dream of mine, when I first saw the old Goethe Villa and became true thanks to Xaver Augustin.

Creator , composer and artistic director of the ‘Re-Vibrating Goethe Villa’ is Sigune von Osten. She has worked for the past several months with the choir of the MEBC on vocal and experimental parts as well as with Burmese musicians. Bringing the Villa alive are: und es folgen die Namen von neun Ausländern (wie z.B. Matthias Loebner with his electro-acustic hurdy-gurdy) und zahlreiche Burmesen des MEBC (Myanmar Enterntainment & Business Center).   

*habe ich – bis auf die ‚Nationalhymne‘ – wohl überhört, oder sie wurden ‚überarbeitet‘, um sich diesem Klangmüll anzupassen    

** das muss dieses für mich – und vermutlich auch andere – furchtbar disharmonische Gequake und Gequietsche gewesen sein, das ich für Free Jazz hielt

*** damit sind wahrscheinlich die Zeitlupenbewegungen der Zombies gemeint…

 **** in meinem Fall eher Verwirrung und zunehmenden Unmut über diese Verarschung als alles andere

 

Sigune von Osten in ihrem Element!
Home at last!

Wie auch immer, nach fünf Minuten Dona Nobis Pacem ergriff ich die Flucht – wer weiß, was mir noch alles erspart blieb…

Ich war froh, als ich das Haus meiner Schwiegermutter erreichte. So weit ist es schon gekommen, dass ich mich unter Burmesen heimischer fühle als unter meinen eigenen Landsleuten. Wie sagte ein Mitarbeiter der Botschaft zu mir? Das nennen wir ‚verbuschen!‘. Ich selbst dagegen fühlte mich eher wie das kleine Mädchen im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.