Marionettentheater

Dem Landesfremden, der zum ersten Mal Myanmar besucht, kommen das Land und seine Kultur rätselhaft vor: Alles scheint fremd, nichts ist vertraut, wie man es z. B. von Kulturen kennt, die der eigenen nahe stehen. Es scheint zuerst einmal schwierig – wenn nicht unmöglich – Zugang zu ihr zu finden. Man kann es vielleicht so beschreiben: Die burmesische Kultur ist wie eine Arena mit vielen Zugängen; sie heißen z. B. Literatur, Musik, Tanz, Malerei, Schauspiel oder sonst wie. Sprachunterricht ist natürlich der beste Zugang. Egal aber welchen Eingang man nimmt, im Innern des Stadions findet sich immer der Kern der burmesischen Kultur: der Buddhismus! Es gibt wohl kaum etwas in diesem Lande, das nicht von ihm beeinflusst wird.

Mein Eingang hieß Marionettentheater: Schon bei meinem ersten Aufenthalt im Lande faszinierten mich die schönen Figuren und ich nahm ein paar als Souvenir mit heim. Die ich schnell verkaufte: Die Angebote waren einfach zu verlockend. Daraus entwickelte sich eine Leidenschaft, die bis heute anhält. Die Beschäftigung mit dem Marionettentheater hat mir zahlreiche Türen geöffnet: Ich lernte viele begabte, eigenwillige und freundliche Menschen kennen, die auf die eine oder andere Art mit ihm zu tun hatten. Seien es nun Schriftsteller, die darüber geschrieben hatten, oder seien es Puppenspieler und sonst wie mit ihm verbundene Personen. Mit ihnen habe viele interessante Stunden verbracht und ihnen verdanke ich mein Wissen über das Marionettentheater, das sich in mittlerweile drei Büchern niedergeschlagen hat. 

Einer der Originellsten unter ihnen wir mein leider verstorbener Freund Zawgyi Byan (s. Foto oben). Bis zur Zwangsumsiedlung Bagans betrieb er in der Nähe des Museums ein kleines Theater, aber auch nach dessen Schließung gab er nicht auf. Im Hof seines Hauses machte er weiter. Es war ein Vergnügen, ihm noch im hohen Alter (er wurde gesegnete 95 Jahre alt) zuzuschauen. Der kleine Mann (ca. 1.40 m ‚groß‘) in seinem roten Dress machte dauernd neue Erfindungen, z. B. remote control marionettes, wie er sie nannte. Diese Figuren wurden über mehrere Meter lange Fäden bewegt – faszinierend! Und die kindliche Freude, die er dabei empfand, war absolut ansteckend. Seine Familie (auch Puppenspieler) machte sich stets große Sorgen, wenn er seine Fahrradtouren durch Bagan machte, aber er ließ sich partout nicht davon abbringen…

Der Puppenspieler U Pan Aye (Star von Mandalay Marionettes) u. der Autor

Nun denkt ein Außenstehender vielleicht: Wie soll das funktionieren? Ich kann doch nicht durch das Kasperletheater etwas über z. B. die deutsche Kultur lernen – das ist doch Kinderkram! Weit gefehlt! Das Marionettentheater Myanmars ist eine ernsthafte Kunst, die unter der letzten Dynastie (1752-1885) die führende  Kunstform des Landes war. Der König selbst förderte das Marionettentheater nach Kräften. Zur Aufführung kamen stets religiös geprägte Dramen, ja, man kann eigentlich sagen, dass es in Myanmar lange Zeit gar keine säkulare Kunst gab – alles war vom Buddhismus durchdrungen. Man kann es mit Fug und Recht eine aussterbende Kunstform nennen: Die Aufführungen wurden immer mehr vereinfacht, um es dem Publikumsgeschmack anzupassen und in den 60er- Jahren war es nicht weit vom Aussterben entfernt. Zwar versuchte die Regierung des Landes, die Kunst zu erhalten und nahm dazu sogar ausländische Hilfe (aus der Tschechoslowakei) in Anspruch.  Die tschechischen Expertinnen versuchten, es zu  modernisieren und noch heute gibt es Bühnen, die mit denen von ihnen eingeführten Handschuhpuppen spielen. Aber es half alles nichts – das Interesse nahm stetig ab. 

Der Puppenspieler U Tun Kyi (Yangon)
Eine Vorstellung der Marionettenbühne von Mandalay Marionettes in der gleichnamigen Stadt

Doch dann kam Hilfe von unerwarteter Seite! Als sich das Land langsam für den Tourismus öffnete, wollten viele Besucher auch das berühmte Marionettentheater des Landes sehen. Anfangs langsam, dann immer schneller taten sich wieder Puppenspieler zusammen, die zwischenzeitlich ganz anderen Formen des Broterwerbs nachgegangen waren, denn das Marionettentheater war – im wahrsten Sinne des Wortes – eine brotlose Kunst geworden. An den wichtigsten Touristenorten (Mandalay, Bagan, Yangon) entstanden neue Marionettentheater, eine der führenden unter ihnen ist sicher Mandalay Marionettes. Heute spielen wieder zahlreiche Marionettenbühnen in Myanmar und man kann sicher sein, dass es sie so lange geben wird, wie Nachfrage da ist.