Bestattung und Reliquien
Die übliche Art der Bestattung unter den Buddhisten Myanmars ist die Erdbestattung. Es gibt keine Friedhöfe mit Grabkult o. ä. wie in der christlichen Religion und anderen. In der Regel liegt der ‚Leichenacker’ an einem abgelegenen Platz möglichst weit vom Dorf entfernt. Dort werden die Leichen eher entsorgt als beigesetzt und der Ort wird von allen gemieden – wegen der bösen Geister, die da herumspuken. Der Körper ist nur die sterbliche Hülle, die Seele hat sich schon lange einen neuen Aufenthaltsort gesucht. In den großen Städten hingegen hat sich die Verbrennung weitgehend durchgesetzt, weil durch das starke Bevölkerungswachstum dort einfach kein Platz ist. Die Asche hat für die
Hinterbliebenen in der Regel keinerlei ideellen Wert. Für die Angehörigen mancher religiöser Minderheiten wie Moslems und Juden kommt die Verbrennung eines Leichnams einem Mord gleich. Denn am Tag des Jüngsten Gerichtes sollen die Toten ja wieder aus den Gräbern steigen. Daraus ergibt sich in Myanmar ein Problem: Friedhöfe sind heilige Orte, und die Totenruhe darf niemals gestört werden. Ich entsinne mich an den Fall der jüdischen Gemeinde in Yangon. Das Gelände ihres Friedhofs (in der Downtown) wurde von der Stadtverwaltung beansprucht. So war die Gemeinde gezwungen, die Toten umzubetten. Die neue Begräbnisstätte liegt in Mingaladon.
Buddhistische Mönche werden im Gegensatz zu Laien in der Regel verbrannt. Wer die Gelegenheit hat, der Verbrennung eines hochrangigen Mönches (hpoun: gji: bjan) beiwohnen zu können, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Die Gräfin Nostitz beschreibt in ihrem Buch Helfer’s Reisen (S. 143), wie bei einem hpoun: gji: bjan die Leiche des Mönches in die Luft gesprengt wird und die Gläubigen sich um die kleinen Überbleibsel der Explosion reißen.
Ich habe in einem Kloster in Mrauk Oo (Arakan) einmal beobachtet, dass der Leichnam eines Mönches sehr lange aufbewahrt wurde und (riechbar) schon in Verwesung übergegangen war, bevor er dem Feuer übergeben wurde. Reliquien sind ein wichtiger Teil des buddhistischen Kultes. In Myanmar unterscheidet man vier Klassen und die höchste Verehrung genießen natürlich Körperteile wie z. B. Haare des lebenden Gautama Buddha und seine sterblichen Überreste. Buddha wurde nach seinem Tod ‚kalt’ verbrannt: Bei dieser Verbrennungsart verbrennt nur das Fleisch, Knochen und andere harte Bestandteile bleiben übrig. Daher ist es auch in das Reich der Legende zu verweisen, dass in der Phizi-Pagode in Arakan die Hoden Gautama Buddhas als Reliquie aufbewahrt wurden, wie man sogar in einem deutschen Reiseführer lesen konnte …
Diese Überreste Gautamas wurden – so sagt es die Legende – an acht Könige verteilt, die sie in ihren Ländern in Stupas einschreinten. Kaiser Ashoka ließ ein paar hundert Jahre später diese Stupas öffnen und auf – so die Legende – 84.000 Stupas in seinem gesamten Reiche verteilen, um die Religion weiter zu verbreiten. Das scheint etwas unglaubhaft, aber dem Kreuze unseres Heilands ging es ja auch nicht anders. Fügt man die ganzen Splitter zusammen, nimmt das Ding gigantische Ausmaße an. Am bekanntesten ist wohl die Zahnreliquie, die im Zahntempel zu Kandy (Sri Lanka) aufbewahrt und dort seit Jahrhunderten verehrt wurde. Bis die Portugiesen Sri Lanka eroberten: Sie beschlagnahmten das heidnische Kultobjekt und brachten es zwecks Zerstörung nach Goa, um ein für alle Mal mit diesem Aberglauben aufzuräumen. Der burmesische König Bayinnaung, einer der bedeutendsten Herrscher des Landes, hörte davon und versuchte verzweifelt, dies zu verhindern. Er bot dem Vizekönig von Goa eine irrwitzige Summe, um in den Besitz des Zahnes zu gelangen. Vermutlich hätte der Vizekönig gern das Geschäft gemacht – aber da war die Heilige Inquisition vor! Der Zahn wurde also öffentlich in Goa in einem Mörser zermalmt. Entgegen aller Erwartungen der Buddhisten ging die Welt nicht unter, ja, nicht einmal die frevlerischen Portugiesen wurden vom Blitz getroffen. Aber genützt hat es ihnen nichts. Denn in eben jenem Moment, als der Zahn in Goa zermalmt wurde, rematerialisierte er sich an seinem angestammten Platz in Kandy.
Und dort wird er bis heute verehrt und einmal im Jahr im Rahmen eines großen Festumzugs (Perahera) durch die Stadt getragen. Sogar Kopien davon wurden angefertigt: Eine davon findet sich im Kaunghmudaw-Stupa nahe Sagaing. Es gibt aber noch zahlreiche weitere Reliquien des Erleuchteten in der buddhistischen Welt, unter anderem im Famen-Tempel nahe der alten chinesischen Hauptstadt Chang’ An (heute Xi’ An), wo ein Fingerknochen verehrt wird. Und nicht wenige Stupas in Myanmar (so z. B. Shwezigon und Shwehsandaw in Bagan, Shwedagon in Yangon nicht zu vergessen) rühmen sich solcher Reliquien, die jedoch seit Jahrhunderten unter der Basis der Stupas eingemauert sind.
Mitte der 90er Jahre entstand im Yangoner Stadtteil Mayangone ein riesiger neuer Sakralbau: die Hswedaw Myat Pagode, auch unter diversen anderen Namen bekannt. Man könnte das annähernd mit ‚Tempel des heiligen Augenzahns’ übersetzen. Augenzahn? Ja, natürlich: Der des Gautama Buddha! Dieser Tempel ist vermutlich weltweit einmalig: Er hat neun Eingangsportale, die nach bestimmten Attributen des Erleuchteten benannt sind! Die Zahl weist auf keinen Geringeren als General Ne Win, den langjährigen Militärdiktator, dessen Glückszahl die Neun war. Als Stifter des Stilmischmaschs (ein bisschen Ananda/Bagan, ein bisschen Maha Wizaya in Yangon u.v.a.m.) fungierte der damalige Geheimdienstchef Khin Nyunt. Er hatte sich von Ne Wins Adjutant bis zum Leiter des – scheinbar – allmächtigen Geheimdienstes hochgearbeitet. Betonung auf scheinbar, denn nicht einmal zehn Jahre nach Fertigstellung des Tempels wurde er in einer Nacht- und Nebelaktion kaltgestellt – alle seine Geheimakten, mit denen er angeblich jeden im Lande kompromittieren konnte, nützten ihm da nichts mehr. Auch die Restaurierung des Dhammayazika Stupa in Bagan wird ihm zugeschrieben und vielleicht liegt es
daran, dass die von ihm gestifteten Stupas und Tempel einen etwas renovierungsbedürftigen Eindruck machen. Khin Nyunt wäre nicht der Erste, dem man dadurch das Verdienst nehmen wollte … Eine Anekdote von der Grundsteinlegung des Tempels berichtet: Nachdem die Brahmanen die Vorbereitungen für die Legung des Grundsteins abgeschlossen hatten, sagte einer der heiligen Männer zu Khin Nyunt, der den Grundstein legen sollte: „You may now step down!“ – in die Grube hinab, meinte der gute Mann. Der Major General allerdings war not amused und der arme Brahmane verschwand in einem Lager. Ob das stimmt? Weiß ich doch nicht!
Natürlich stellt sich die Frage: Wozu – außer dem Ruhme Ne Wins und Khin Nyunts – diente denn nun der Riesenbau? In Myanmar mangelt es ja wahrhaftig nicht an Sakralbauten. Nun, der Grund dafür lag in der Ankunft einer besonders heiligen Reliquie: Die chinesische Regierung hatte den Burmesen ihre Bitte erfüllt, den dort verwahrten Augenzahn des Erleuchteten auszuleihen! Der wurde dann nicht nur in Yangon, sondern auch in anderen Städten des Landes präsentiert. Und für diese eine, leihweise überlassene Zahnreliquie errichtete man in Yangon einen Riesenbau. Andere Städte eiferten der damaligen Hauptstadt nach und bauten ähnliche Tempel, der größte unter ihnen (nach Yangon, versteht sich …) steht wohl in Mandalay. Vermutlich haben Millionen von Gläubigen die Zahnreliquie in Yangon verehrt und noch viel mehr im ganzen Land. Nachdem sie ihre Tournee durch Myanmar beendet hatte, musste man sie – wohl zur großen Enttäuschung aller burmesischen Buddhisten – wieder an China zurückgeben. Sie (oder eine andere?) war übrigens im ersten Jahrzehnt des 3. Jahrtausends wieder in Myanmar.
Angesichts dieser Begeisterung ist nur schwer verständlich, warum die vermutlich einzige echte Reliquie des Erleuchteten in Myanmar nur ein Dornröschendasein führt: die Peshawar-Reliquie! (siehe nebenstehendes Foto). 1916 wurden bei Ausgrabungen in Peshawar (damals British India, heute Pakistan), der alten Hauptstadt des buddhistischen Kushan-Reiches (existierte um den Beginn unserer Zeitrechnung), in einem Stupa eine Reliquie gefunden, die man mit einiger Sicherheit dem Erleuchteten zuschreiben konnte. Die moslemischen Bewohner der Gegend hatten verständlicherweise kein Interesse daran und so wurde sie den Burmesen übergeben, deren Land zu jener Zeit Teil British Indias war. Sie schreinten die Reliquie auf dem Mandalay Hill ein, der zu jener Zeit vom Einsiedler U Khanti mit Bauwerken verschönt wurde. Heute findet sich die Reliquie in einem Kloster an Fuße des Hügels und wird Interessierten gegen einen kleinen Obolus gern gezeigt. Für die einheimischen Buddhisten scheint sie jedoch nur von untergeordneter Bedeutung zu sein: Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande …
Doch nicht nur Reliquien Gautama Buddhas werden verehrt: auch die von heiligen Männern, Statuen, Bücher. Legendär ist die in Mingun eingeschreinte Sodamaschine (s.a.a.O.)! Zum Thema Reliquien hat auch Frau LARKIN wieder etwas beizutragen: Die Story vom verschwundenen Leichnam des Thamanya. Dieser wundertätige Mönch (in den Augen der Burmesen war er ein sog. Arahat, d. h. jemand, der aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ausgeschieden ist), dessen Kloster in der Nähe der Stadt Hpa-An (Karen State) ein Anziehungspunkt für Gläubige im ganzen Lande war, verstarb im Jahre 2003. Sein (offenbar einbalsamierter) Leichnam wurde 2008 von einer Gruppe uniformierter Männer gestohlen und ein paar Tage später erhielten seine Anhänger die Nachricht, dass sie die Asche des heiligen Mannes abholen könnten. Und jetzt kommt der Knaller: Die Asche solcher Arahats enthält angeblich eine geheimnisvolle, kristalline Substanz namens da’ daw, die sehr wirkmächtig ist. Wer sie besitzt, kann Gedanken lesen, sich unsichtbar machen, ja sogar fliegen!
Insgesamt werden solche Substanzen in neun burmesischen Mönchen vermutet. Wenn man sie alle zusammen hat (die Herren sind meist schon recht betagt), werden sie an neun Punkten der neuen Hauptstadt Naypyidaw vergraben und machen die Stadt unbesiegbar, d. h. die Herrschaft des Militärregimes wird immerwährend sein! Na, immer noch besser, als Menschen an den Toren zu verbrennen, wie es noch der als besonders aufgeklärt geltende
König Mindon praktizierte. Frau LARKINs Gewährsleute wissen natürlich, dass das alles gar nichts mit dem Buddhismus zu tun hat, ja, eigentlich im Gegensatz zu ihm steht: Wahrscheinlich sind es nur Gallensteine oder ähnliches – was mir sehr plausibel scheint. Allerdings tut das ihrer Popularität keinen Abbruch: In vielen Klöstern des Landes sind diese da’ daw zu besichtigen!