Die Burmesen - wie sie sich selbst sehen

Das Bild zeigt einen Briten namens Stanley, der vor dem burmesischen General Mahabandoola salutiert. Bei der Beurteilung des Bildes sollte man allerdings beachten, dass vor der Brust verschränkte Arme in Myanmar ein Zeichen der Ehrerbietung sind - Schulkinder stehen z. B. so vor ihren Lehrern.

Die stolze Geschichte Myanmars bis zur Okkupation durch Großbritannien hatte bei vielen Burmesen ein stark übersteigertes National- und Selbstbewusstsein zur Folge. Es war vor allem am königlichen Hof – der von den Briten als most arrogant court in Asia eingestuft wurde – sehr ausgeprägt. Die 1829 verfasste Glaspalast-Chronik der Könige von Myanmar gilt als bedeutendstes Geschichtswerk der burmesischen Königreiche. Wie in der indisch geprägten Geschichtsschreibung nicht selten, stehen Fakten und Legenden gleichberechtigt nebeneinander. Der Glaspalast-Chronik zufolge sind die burmesischen Könige Abkömmlinge des Stamms der Shakyas, dem auch der Buddha angehörte. Zwar wurde dieser vermutlich noch zu Lebzeiten Gautamas ausgelöscht, aber das tut dem keinen Abbruch. Ein Adliger namens Abhiyaza entkam angeblich dem Massaker und flüchtete ins heutige Myanmar, wo er in Tagaung das erste burmesische Königreich gründete. Und weshalb sollten die Abkömmlinge der edlen Shakyas anmaßende Fremde als gleichberechtigte Gesprächspartner akzeptieren? Und setzt sich nicht das Wort Myanmar nach einer populären, im Volk verbreiteten Deutung aus den Worten myan = schnell und ma = stark, gesund zusammen? So wurden ausländische Gesandte am burmesischen Königshof oft schikaniert und nicht selten mit Schimpf und Schande davongejagt. Der britische Diplomat, Capt. Hiram COX, der sich zu Zeiten König Bodawhpayas (regierte 1782 bis 1819) zeitweise dort aufhielt, konnte ein Lied davon singen…

badei dhabin am Hafen von Yangon

Das Weltbild der Burmesen ist durch altindische Vorstellungen geprägt, die zahlreiche Parallelen mit denen anderer indoeuropäischer Völker aufweisen. (Näheres unter: Buddhismus – Kosmologie). Die Burmesen betrachten sich als Nachkommen von himmlischen Wesen. Die seien nach dem letzten Weltuntergang aus den oberen Himmelsregionen, die nicht der Zerstörung anheimfielen, in die neu geschaffene Welt hinabstiegen. Der Burmese ist der stolzeste Sterbliche auf Erden, schrieb COCHRANE Anfang des 20. Jahrhunderts, zumal er glaubt, himmlischer Herkunft zu sein, da er von gefal­lenen Engeln abstamme. … Der Burmese erkennt keine Überlegenheit anderer an, … denn er kann sich nichts Größeres oder Wichtigeres vorstellen als Burma. (Among the Burmans, 1904, S. 37). Die Lebensspanne jener Wesen war fast unendlich lang und ihre materiellen Bedürfnisse wurden durch den Wunschbaum (burm.: badei dhabin, Pali: kalpavikka) gedeckt. Doch sie aßen die ‚süße Erde‘ und wurden nach und nach ‚sündig‘, bis der heutige Zustand erreicht war. Ihre Lebensspanne verringerte sich ständig und irgendwann verschwanden auch die Wunschbäume. So mussten die Bewohner der neu geschaffenen Welt zur Arbeit übergehen, um ihre Bedürfnisse zu decken (vgl. Vertreibung aus dem Paradies in der Bibel). Einmal im Jahr im Monat Tazaungmon (Oktober/November), kommt es zur (symbolischen)  Wiederauferstehung der Wunschbäume. Dann werden im ganzen Lande aus Holz gezimmerte, baumähnliche Gebilde aufgestellt. An denen hängen die Gläubigen allerlei Gaben fürs Kloster auf. Am Vollmondtag werden sie mit großem Juchhei dorthin gebracht (Kathein-Fest). Damit einher gehen Wettbewerbe im Weben von Mönchsroben und das Aufsteigen von Ballons (oft sehr farbenprächtige Angelegenheiten wie z. B. das Ballonfestival von Taunggyi).

In den ersten beiden anglo-burmesischen Kriegen (1824-26 und 1852) wurden die Burmesen vernichtend geschlagen. In der GlaspalastChronik liest sich das jedoch so: Abgerissene Fremde, dem Verhungern nah, kamen an den königlichen Hof und baten um Hilfe. Woraufhin ihnen der König großzügig einen Teil seines Territoriums übergab. Selbst der relativ aufgeklärte Mindon, der vorletzte Herrscher Myanmars, war nicht frei von diesem Wahn. Er schickte eine Gesandtschaft nach Europa, die u. a. in Versailles empfangen wurde. Nach der Rückkehr befragte der König den Leiter der Delegation, ob denn der französische Monarch auch so einen schönen Palast habe wie er selbst. Die Antwort lautete: „Majestät, wie könnte er? Dort gibt es doch nicht das vortreffliche Teakholz, mit dem euer Palast erbaut wurde!“. Und der König war zufrieden. Auch sein Nachfolger Thibaw konnte die Verhältnisse nicht richtig einschätzen und so kam es, wie es kommen musste. Die Briten eroberten den Rest von Myanmar und schickten den König ins Exil nach Indien. Wo seine sterblichen Überreste noch heute ruhen …

 

Britische Soldaten erstürmen eine burmesische Palisade (1824)

Und so kam es, dass Burma britische Kolonie wurde. Seine Bewohner mussten ohnmächtig zusehen, wie die Sieger Millionen der von ihnen verachteten Inder (Kala) ins Land brachten. Diese waren es auch, die, angeleitet von britischen Offizieren, die Aufstände der Burmesen mit Leichtigkeit niederschlugen. Nichtsdestoweniger versuchten sie immer wieder, das koloniale Joch abzuschütten, was ihnen den – ehrenden? – Beinamen ‚The Irish of the East) eintrug. Später lag die Verwaltung des Landes in indischen Händen. Viele Einheimische haben während der Kolonialzeit kaum einmal Engländer gesehen – Inder hingegen überall. Dies hat nicht wenig dazu beigetragen, dass jene heute in Myanmar so wenig beliebt sind. Nach der Unabhängigkeit verließen die britischen Kolonialherren das Land. Viele Inder dagegen blieben in Myanmar. Denn für die armen indischen Kulis war eine ‚Heimkehr‘ sicher keine Option – sie hatten keine andere Heimat als Burma. Andere wurden von den Burmesen so unter Druck gesetzt, dass sie das Land verließen und nach Indien zurückgingen. Die im Lande verbliebenen Inder erreichten aufgrund ihres Geschicks im Handeln und im Handwerk schnell eine dominierende Position im unabhängigen Burma. Was den Burmesen nicht gefiel. Durch allerlei Schikanen gelang es, die ungeliebten Nachbarn aus ihrer dominierenden Stellung zu vertreiben. Diese Umstände trugen

nicht wenig dazu bei, das burmesische Selbstbewusstsein drastisch zu beschädigen. Wenn man sich hierzulande ein wenig umhört, kommt man zu dem Schluss, dass viele Burmesen sich als Verlierer der Geschichte betrachten. Da war zum einen der Zweite Weltkrieg, unter dem wohl kein Land in Südostasien so gelitten hat wie Burma. Dessen Infrastruktur wurde weitgehend zerstört. Die sozialistische Zeit unter Ne Win trug sicher ihren Teil zur weiteren Verschlechterung der Situation bei. Während das burmesische Volk weitgehend verarmte, prosperierten die Nachbarländer. Heute arbeiten angeblich mehr als zwei Millionen Burmesen in Thailand, wo sie die dreckigsten und am schlechtesten bezahlten Jobs machen und von den Thais ausgesprochen mies behandelt werden (Rache für Ayutthia?). Nichtsdestoweniger betrachten sich viele Burmesen gern als gewitzte, bauernschlaue Menschen, die es den arroganten Ausländern auf ihre Weise heimzahlen. Bei meinen burmesischen Freunden sind Filme wie z. B. Kevin – Allein zu Haus (Originaltitel: Home alone) oder Crocodile Dundee sehr beliebt. In dieser Art von Filmen setzt sich ein (scheinbarer) Trottel oder ein vermeintlich hilfloses Kind gewitzt gegen die anscheinend viel Schlaueren und Stärkeren durch… Aber das mag auch meine persönliche Deutung sein. Diese Filme erfreuten sich auch anderenorts großer Beliebtheit – wie die vielen Kevins in Deutschland beweisen.

Die Geschichte vom goldenen Topf in der Kyauktawgyi-Pagode, Mandalay

Bezeichnend zu diesem Thema sind nebenstehende Darstellungen aus den sechzehn Träumen des Königs von Koshala (s.a.a.O.). Das obere Bild zeigt links einen räudigen Hund, der in ein goldenes Gefäß pinkelt. Und die Leute eilen mit weiteren Behältern herbei, damit er auch dort hineinpinkelt. Was hat das zu bedeuten? Nun, das goldene Gefäß ist ein Symbol für das burmesische Mädchen, das auf dem Bild links neben einem affenartig aussehenden Mann (vermutlich ein Inder) sitzt. Die Eltern müssen hilflos zuschauen, wie der Fremde ihre Tochter der Familie entreißt. Gegen ihren Willen. Wenn es erst einmal so weit ist, dass burmesische Mädchen (vermutlich aus finanzieller Not) an Fremde verschachert werden müssen, ist das Ende der Welt nicht mehr fern. Der Hintergrund ist wahrscheinlich, dass sich die fremden Eindringlinge während der Kolonialzeit oft einheimische junge Frauen als Geliebte nahmen. Sehr zum Unwillen der Burmesen. Auch die Eltern des Mädchens auf dem rechten Bild scheinen nicht besonders glücklich zu sein, obwohl ja der Ausländer in seinem coolen Outfit nun wirklich passabel aussieht. 

Mehr zu diesem Thema in meinem Buch 45 Jahre in Burma

Eine 'moderne' Version der Geschichte in der Sasana 2500 Pagode in Ye