Mönche
In Myanmar soll es Schätzungen zufolge mehr als eine Viertelmillion Mönche geben. Hinzu kommt eine vermutlich noch größere Schar von Novizen und ungezählte Nonnen, deren Zahl sicherlich auch in die Hunderttausende geht … „Nur 250.000?“ fragt sich jetzt vielleicht manch einer – „Das müssen doch viel mehr sein!“. Es ist ganz wichtig zu wissen, dass beileibe nicht jeder, der eine Robe trägt, auch ein Mönch ist. Erst mit Erreichen des 20. Lebensjahres kann ein Mann ordiniert werden. Daher ist es auch falsch, von Kindermönchen zu sprechen – das sind alles Novizen! …
Die Mönche sind seit der Ne-Win-Zeit (1962-1988) in zehn verschiedenen Orden bzw. Sekten organisiert. Davor gab es erheblich mehr! Die mit Abstand größte unter ihnen ist die Thudhamma-Sekte, der ca. 90 % der Mönche im Lande angehören. Möglicherweise liegt das nicht zuletzt daran, dass deren Ordensdisziplin nicht so strikt ist wie die von anderen: So dürfen Thudhamma-Mönche rauchen! Als Orden mit der striktesten Disziplin gilt gemeinhin Shwegyin.
Einen ‚Primas‘ der buddhistischen Mönche (Thathanabaing) gibt es seit 1938 nicht mehr. 1895 starb der noch vom König eingesetzte Taungdaw Sayadaw (sayadaw bedeutet Abt). Zwar wurde ein Nachfolger gewählt (Taunggwin Sayadaw), aber der war lediglich für Upper Burma zuständig. Nach dessen Tod (1938) wurde das Amt von den Briten abgeschafft. Seit der Unabhängigkeit (1948) hat das State Sangha Maha Nayaka Committee die Aufgaben des thathanabaing übernommen.
Während die Laien nur fünf Geboten (Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht ehebrechen, keine berauschenden Getränke!) unterliegen, muss ein Mönch mehr als 250 befolgen. Ob er das tut, steht auf einem anderen Blatt. Das Klosterleben ist spartanisch und hart, vor allem für die jungen Mönche und Novizen: Aufstehen morgens um vier, beten, studieren und die (im Idealfall gespendete) letzte Mahlzeit muss vor dem Sonnenhöchststand eingenommen werden. Danach sind nur noch Palmzuckerbällchen erlaubt. Trotzdem tragen vor allem ältere Mönche manchmal ein veritables Bäuchlein vor sich her … Ein Pongyi darf außer seiner aus drei Teilen bestehenden Robe nur vier Dinge besitzen: eine Rasierklinge, eine Nadel, einen Wasserfilter und eine Almosenschale. Ein MP-3-Player, wie ich ihn schon bei jungen Mönchen gesehen habe, gehört definitiv NICHT dazu!
Auf jeden Fall sollte der Begriff ‚Betteln’ im Zusammenhang mit ihnen vermieden werden. Dadurch, dass der Mönch die Gabe des Gläubigen annimmt, gibt er ihm die Chance, Verdienst zu erwerben. Der Gebende hat also dem Nehmenden zu danken, nicht umgekehrt! Sicherlich, es gibt auch solche, die um Geld betteln, aber das ist eigentlich völlig unakzeptabel! Ein Mönch sollte es gar nicht berühren! U Kanthi, der berühmte Einsiedler, dem wir die Bebauung des Mandalay Hills ‚verdanken’ , legte seine Mönchsrobe ab, um Geld annehmen zu dürfen, das er für diese Bauwerke sammelte. Diese Zeiten sind längst vorbei.
Ursprünglich hatte der Buddha auch die Aufnahme von Behinderten in den Orden verboten. Er wollte damit verhindern, dass sich diese seinerzeit oft zum Betteln verdammten Menschen das Ansehen der Robe zunutze machten, um ihre Einkünfte zu steigern. Das Gleiche galt aus nahe liegenden Gründen für Homosexuelle und Schuldner, die sich auf diesem Wege aus ihren Verpflichtungen davonzustehlen hofften.
Die Aufnahme in den Orden erfolgt durch die Gemeinschaft der Mönche, die ihre Zustimmung durch Schweigen bekunden. ‚Denn nur das edle Schweigen verletzt die Wahrheit nicht‘, so lehrte es der Buddha! Davon abgeleitet ist ein wichtiger Grundsatz der Lehre, der schon so manchen Suchenden aus dem Westen zur Verzweiflung gebracht hat. Da hat man sich mühsam durch die buddhistische Literatur gearbeitet und will nun endlich im Kloster seine Fragen an den Mann bringen. Und dann wird einem beschieden, erst einmal das Schweigen zu erlernen. Denn: Wer redet, weiß nicht – wer weiß, redet nicht! Auch das eine Erkenntnis des Erleuchteten. Es sei hier nicht verschwiegen, dass die Klöster in vielen Fällen auch als soziale Institution dienen. Als Mönch genießt sogar der Armseligste ein gewisses Ansehen, hat ein Dach über dem Kopf und bekommt regelmäßig zu essen. Außerdem kann er durch Betteln noch zu Bargeld kommen …
Die schwarzen Schafe sind jedoch die Ausnahme. Im burmesischen Fernsehen gibt es den sogenannten Buddha-Channel, der ausschließlich Predigten von Mönchen sowie religiöse Aktivitäten (wie z. B. Pilgerfahrten) zeigt. Meine persönlichen Lieblingsmönche sind der Sithagu Hsayadaw und Ashin Kelasa. Ersterer, auch bekannt unter dem Namen Ashin Nyanissara ist der wohl beliebteste und meistverehrte burmesische Mönch unserer Zeit. Aung San Suu Kyi selbst verlieh ihm den Titel Honorable, Excellent, and Great Teacher of Country and State. Kritiker werfen ihm seine Nähe zum Militär vor. Angeblich soll er in einem Gleichnis dazu aufgerufen haben, Moslems zu töten. Was ihn in die Nähe des berüchtigten extremistischen Mönches U Wirathu rücken würde. Religiöser Führer hin, Ordensbruder oder Laie her: Burmesen sind Ultra-Nationalisten! Wenn es um Myanmar geht, werden alle Prinzipien schnell über Bord geworfen. Meine Sympathie für ihn beruht aber nicht auf seiner Lehrtätigkeit. Davon verstehe ich zu wenig. Sondern auf einer persönlichen Begegnung im Flugzeug. Ich wusste damals nicht, dass es sich um einen so prominenten Geistlichen handelte. Und begrüßte ihn scherzhaft mit einem Kindervers, in dem der Glatzkopf des Mönches mit einer Kokosnuss verglichen wird. Seine Begleiter erbleichten! Und was tat der heilige Mann? Er lachte schallend! Anschließend unterhielten wir uns sehr nett und beim Abschied winkte er mir lachend zu! Netter Kerl!
Ashin Kelasa lebt überwiegend im Maha Gandha Yone Kloster in Amarapura. Ich lernte ihn kennen, als ich zwei STERN-Reportern bei einer Story über den Buddhismus in Myanmar zur Seite stand. Die Geschichte war so erfolgreich, dass sie in Buchform herauskam (in: Die sechs Weltreligionen’, STERN-Buch, erschienen bei Ullstein). Wir hatten im Rahmen der Recherchen mit vielen Mönchen gesprochen. Keiner von ihnen vermochte uns zu überzeugen. Die Begegnung mit Ashin Kelasa zeigte uns, dass es auch Mönche gibt, die sich ernsthaft mit ihrer Religion beschäftigen. Er ist studierter Mathematiker und geht sehr analytisch an den Buddhismus heran. Der Tod seiner Mutter in frühen Jahren veranlasste ihn, Mönch zu werden. Es fiel ihm nicht leicht, sich in die klösterliche Disziplin einzufügen, wie er freimütig gestand. Vor allem der Luxus, in dem manche Pongyis lebten, war für ihn schwer zu ertragen: Klimatisierte Klöster mit Teakparkett sind vielleicht auch nicht genau das, was der Buddha selbst sich vorgestellt hatte. So begründete er im Shan State ein Waldkloster, wo er Vipassana-Meditation lehrt. Er hat mittlerweile viele Anhänger, darunter auch Menschen aus dem Westen.
Besonders beeindruckend fand ich seine Beschreibung der Meditation (Zitat): Sie wirke ähnlich wie ein Mikroskop. Betrachte man damit etwas Ekliges wie eine Kakerlake, verändere sie sich vollständig und löse sich auf in lauter Details. Die können faszinierend sein und man kann sie in vollkommener Ruhe erforschen. Der Ekel verschwinde. So verschwand sein Schmerz über den Tod der Mutter. „So verstehe ich auch Reinkarnation“, sagt er. „Wiedergeburt findet jeden Augenblick statt. Wenn jemand wütend wird, stirbt der Mensch, der er vorher war, und er ist ein wütender Mensch. Wenn er wieder friedlich wird, stirbt der wütende Mensch. Wir werden ständig neu geboren, weil es uns als feste Wesen gar nicht gibt, sondern nur als fließende, veränderliche Zusammenballung von Geist und Materie.“ Was nach dem Tod geschehe? Keiner wisse es. Was vom Menschen überlebe und wiedergeboren werde? Keiner wisse es. Wenn das Feuer erlischt, wohin geht es? Und die Seele? Das ich? Das Karma? Wieder das Lächeln Buddhas. Dann benutzt der Mönch das Bild der Billardkugeln: Wenn die eine die andere anstößt, in Bewegung versetzt und selbst liegen bleibt, wird die Energie von der einen auf die andere Kugel übertragen. So habe man sich auch die Seele als ein komplexes Bündel von Daseinsfaktoren und geistiger Energie vorzustellen, die in einem Prozess stetiger Veränderung von einer Existenz auf die andere übergehen. Hat mich damals sehr beeindruckt!