Chauktatyone - Bürokratie in Burma

Seit dem Umzug der Regierung nach Naypyidaw sind viele ehemalige Regierungsgebäude in Yangon verwaist. Eines davon ist das berühmt-berüchtigte Chauktatyone. Das markante Gebäude an der Strand Road (Nr. 53) beherbergte unter anderem das Hauptquartier der Immigrationsbehörde. Das Wort bedeutet einfach nur ’sechsstöckiges Büro‘; offenbar war zur Zeit seiner Errichtung (wahrscheinlich in den 50er oder 60er-Jahren) ein sechsstöckiger Bau in Yangon so ungewöhnlich, dass er seitdem diesen Namen trägt. Diesem bemerkenswerten Bauwerk soll hier ein literarisches Denkmal gesetzt werden. Nach dem Umzug der Regierung nach Naypyidaw wurde aus dem Gebäude eine piekfeine Business-Adresse namens Strand Square.

Da die Aufenthaltsdauer des Chronisten in Yangon die Frist von vier Wochen überschritten hatte, brauchte er für die Ausreise eine sog. ‚departure form‘ (kurz D-form genannt). Die gab es im Chauktatyone und so kam er wie viele andere Ausländer auch in den Genuss, die burmesische Bürokratie einmal hautnah zu erleben. Von außen betrachtet sieht Chauktatyone genau so nichtssagend und hässlich aus wie zahllose andere Bausünden dieser Zeit in der ganzen Welt. Auffallend sind nur die zahlreichen zerschlagenen Fensterscheiben, von denen nur einige durch Pappe oder Sperrholz ersetzt wurden. Das Besondere dieses Gebäudes enthüllt sich erst beim Eintritt. Nachdem der Besucher den auf einem Hocker herumlümmelnden schwerbewaffneten Wachtposten passiert hat, steht er in der großen Eingangshalle des Erdgeschosses. Sie ist von einem durchdringenden Uringeruch erfüllt: Ah ja, da vorn ist ja auch schon die Toilette, Eintritt 5 Kyat! Links und rechts sind zwei Fahrstuhlschächte: Ihre Türen sind dicht mit Spinnweben bedeckt, die Etagenanzeiger zerbrochen, was nahelegt, dass sie seit Jahrzehnten nicht benutzt worden sind. An den Wänden überall roter Betelsaft, selbst auf dem Schild ‚Betel kauen streng verboten!‘. Nach Durchschreiten der Vorhalle erreicht der Besucher den Empfang: Hier werden Softdrinks und kleine Snacks verkauft, des weiteren kann man dort überlebenswichtige Formulare erwerben und Fotokopien – zu recht günstigen Preisen! – anfertigen lassen. Informationen erhält man dort leider nicht! Ein freundlicher Snackverkäufer weist den Weg: links geht es zur Immigration! Hinter vergitterten Schaltern werkeln Angestellte in weißen Blusen und den landesüblichen Longyis. Am Ärmel tragen sie die Abzeichen ihrer Würde: Das Logo der Immigration, das keinerlei Zweifel offen lässt. In gemessenem Tempo verrichten die Beamten ihre schwere Arbeit. Vor den Schaltern drängelt sich eine verschwitzte Masse von Menschen: einige schwenken wie besessen Formulare, andere unterhalten sich wild gestikulierend mit den Angestellten. Wieder andere sitzen still auf der Bank, während der Rest an altertümlichen Stehpulten Formulare ausfüllt. Doch dieser Schalter ist nur für das Fußvolk! VIPs wie wir westlichen Ausländer erreichen nach ein paar Schritten ein großes Gitter, das den ganzen Flur absperrt. Zum Glück gibt es eine kleine, ebenfalls vergitterte Tür, hinter der ein Wächter sitzt und Bakschisch verlangt. Es empfiehlt sich, ihn sanft zur Seite zu schieben! Wenn hier auch vieles an Kafka gemahnt, so strahlen doch die Wächter in keiner Weise die Autorität aus wie ihre Kollegen im Schloss. Nach Durchschreiten der Gittertür erreicht der Antragsteller einen großen Saal. Da die dreckverkrusteten, von Spinnweben geschmückten staubigen Fenster nur wenig trübes Licht hereinlassen, wird hier schon tagsüber das Neonlicht angeschaltet.

Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen: Hier kommt keiner rein!
Ohne Worte
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... and paperweights

In dem Saal sind zahlreiche Schreibtische eng hintereinander aufgestellt. Die meisten von ihnen sind nicht besetzt, an den anderen wird entweder gegessen, geschlafen oder – eher selten – gearbeitet (oder zumindest so getan als ob). Auf einigen Tischen stapeln sich bunte Pässe aus aller Herren Länder. Der große Saal ist mit Aktenschränken in mehrere Fluchten geteilt. Auf diesen Schränken türmen sich verstaubte Aktenstapel, die durch Spinnweben zusammengehalten werden. Einige befinden sich schon in bedenklicher Schräglage und es kann nicht mehr lange dauern, bis ein unglücklicher Schläfer von einem Aktenbündel erschlagen wird. Wohin nun? fragt sich der Ortsunkundige und macht sich auf die Suche nach dem Sachbearbeiter. Da wir nur eine D-Form benötigen, sind wir ein leichter Fall. Schnell findet sich ein Sachbearbeiter, der uns nach vorn zurückverweist, wo wir das entsprechende Formblatt kaufen und ausfüllen müssen. Danach dürfen wir wiederkommen. Unser Pass liegt inzwischen irgendwo in einem beeindruckenden Stapel von Leidensgenossen, unsere besorgten Blicke werden vom Sachbearbeiter mit einem beruhigenden Nicken erwidert. Und dann sitzt man da: Der Sachbearbeiter ist leider gerade anderweitig beschäftigt. Jetzt heißt es entweder, ein paar Scheine auf den Tisch zu legen – das machen aber fast alle – oder sich an den Chef persönlich zu wenden, dessen Name auf einem großen Schild über der Tür steht. Da Ausländer hier relativ selten auftauchen, sind wir eine Attraktion und dürfen im Chefzimmer sitzen: Es handelt sich dabei um ein durch eine Sperrholzwand vom großen Saal abgetrenntes Kabuff. Der schmuddelige Vorhang im 50er-Jahre-Design, der das Allerheiligste vor neugierigen Blicken schützt, weht leicht im Wind. Wir treten ein. An der Decke dreht sich ein riesiger alter Ventilator. Damit der Luftzug nicht die wichtigen gestapelten Papiere verweht, werden die Papierstapel mit Glaskugeln, schweren Linealen und anderem vor dem Wegwehen bewahrt. Der Chef ist gerade damit beschäftigt, die neben seinem Schreibtisch aufgestapelten Keksdosen durchzuzählen; ab und an schleicht ein Angestellter herein und fügt der imponierenden Sammlung ein weiteres Exemplar hinzu – offenbar ist der Boss ein Krümelmonster, das sich vorwiegend von Keksen ernährt. Uns wird ein grüner Tee in verschmierten Tassen angeboten, allerdings keine Kekse! Wir lehnen dankend ab. Dann wird die Sachbearbeiterin herbei zitiert und angewiesen, unsere Angelegenheit bevorzugt zu bearbeiten. Wir erfahren, dass das ca. zwei Stunden in Anspruch nehmen wird und beschließen, die Wartezeit in der Cafeteria zu verbringen. Oder vielleicht doch lieber an einem der kleinen privaten ‚Food Stalls‘, die sich im Innenhof befinden? Man hört ja nicht viel Gutes von den staatlichen Betrieben.

Also gehen wir an der stinkenden Toilette vorbei Richtung Innenhof, an dessen anderem Ende sich den Angaben zufolge der ‚Food Stall‘ befindet. Wir betreten den recht geräumigen Innenhof und staunen: Er ist ca. einen halben Meter hoch komplett mit Müll bedeckt, der immer munter aus allen sechs Etagen geworfen wird. Aber keine Sorge: Fleißige Hände haben eine Gasse frei geschaufelt, durch die man ungehindert auch die hinteren Teile des Gebäudes erreichen kann. Mich erinnert es irgendwie an den Winter in Deutschland, wenn die Gehsteige vom Schnee frei geschaufelt werden. Wie man hört, bleibt der Müll so lange liegen, bis er den im Erdgeschoss Tätigen zum Fenster herein quillt. Aber was kümmert’s uns, wir wollen ja nur einen Tee trinken. Am Ende des Hofes halten wir uns rechts und stehen in einer Ausfahrt, die offenbar seit langem nicht mehr genutzt wird – jedenfalls nicht von Autos. Diesen Umstand hat sich die ‚Food Stall‚-Betreiberin zunutze gemacht. Über einem übelriechenden offenen Abwasserkanal hat sie ihr Tischchen aufgebaut, auf dem sie Tee, Samosas, kleine Kuchen und andere Leckereien feilbietet. Hannah Asch ließ grüßen: ‚Viele kleine Garküchen stehen neben den Gräben, in denen die Eingeborenen mit ihren schmutzigen Händen die sonderbarsten Gerichte zusammen manschen, schmoren und kochen.‘. Und es mangelt ihr auch nicht an Kunden: die sitzen auf kleinen Hockern und plaudern angeregt, während sie die Leckereien verzehren. Freundlich werden wir heran gewinkt und nach unseren Wünschen gefragt – ‚Wir wollen nichts trinken, ich glaube wir haben uns verlaufen!‘ murmele ich betreten. Das Faszinierendste an der Ausfahrt aber ist für mich ein Eingang, der durch ein Scherengitter verschlossen ist. Dahinter liegt ein großer Haufen undefinierbaren, stinkenden Unrats, aus dem beständig ein schwarzes Rinnsal in den Abwasserkanal sickert. Wir beschließen, die Wartezeit lieber anderswo zu verbringen und verlassen die gastliche Stätte… In Naypyidaw, der neuen Hauptstadt des Landes, sieht es vermutlich nicht viel anders aus – some things just never change! Oder?