Die Geschichte vom Platintopf

Das alte Dagon-Hotel (re.), daneben die Burma Bible Society
Schwarzmarkt-Kings

Bevor ich nach Pyin Oo Lwin zog, habe ich mir manchmal das Büffet-Dinner im Sule Shangri La (früher Traders Hotel) gegönnt. Dann setzte ich mich immer ans Fenster, sodass ich das frühere Dagon Hotel (früher Orient Hotel genannt) im Blick hatte. Es lag rechts neben dem Backsteingebäude, das bis heute die Myanmar Bible Society beherbergt. Und warum? Pure Nostalgie! Denn dort habe ich bis in die 90er-Jahre oft gewohnt, wenn ich in Yangon war. Das Hotel war im zweiten und dritten Stock des Gebäudes untergebracht. Es war eines von sieben in der Stadt, die Ausländer aufnehmen durften. Die Zimmer waren bessere Verschläge, spärlich möbliert mit einem Etagenbett, einem Tischchen und einem Stuhl. Allerdings konnte man für fünf Dollar wohl nicht mehr erwarten. Es gab auch einen Deluxe Room, für mich lange unerschwinglich. Die Bäder (eines pro Etage) waren auf dem Flur, ebenso wie die Toiletten. Das war damals übrigens auch bei den meisten Zimmern im Strand Hotel der Fall. Dort, wo heute das Sule Shangri La steht, standen lauter schöne alte Häuser. Es gab ein Kino und die People’s Patisserie. Dort bekam man mit etwas Glück die ‚Working People’s Daily‘.

Es war ein schöner Dezembertag im Jahre 1979. Ich hatte meinen Mittagsschlaf beendet, geduscht und den kleinen Verschlag (mein Zimmer!) des im 2. Stock eines schmalen Gebäudes an der Ranguner Sule Pagoda Road gelegenen Dagon Hotels verlassen, war unbeschadet die steile Stiege hinab gelangt, vorbei an den im ersten Stock versammelten Alkoholikern der burmesischen Metropole und hatte mir unten in der Bäckerei einen Fancy Cake sowie eine Tasse Tee zu Gemüte geführt. Nun begab ich mich Richtung Sule Pagode, um im Brillenladen meines tamilischen Schwarzhändler-Freundes Victor Gabriel unweit des Diplomatic Store Geld zu tauschen.

Als ich gerade die Anawrahta-Straße überquert hatte, sprach mich ein etwa 30-jähriger, sehr gepflegt wirkender Burmese in ausgezeichnetem Englisch an. Er trug einen grünen Longyi, ein blütenweißes Hemd und die landesüblichen Schlappen, über seiner Schulter hing der unvermeidliche Shan Shoulder Bag. Nach einer recht blumigen und umständlichen Einleitung, während derer er sich des Öfteren nervös umschaute, kam der Mann schließlich zur Sache: Er entstamme einer reichen Familie, die aber aufgrund der Misswirtschaft der sozialistischen Regierung völlig verarmt sei. Alles habe man ihnen weggenommen, sogar das Fahrrad. Nur durch einen genialen Trick gelang es, den größten Familienschatz zu retten: einen Barren Platin! Den habe man eingeschmolzen und in einen ordinären Kochtopf verwandelt – aber einen, der es in sich hatte! Zur Tarnung habe man ihn noch geschwärzt und der Gegenstand, den der Mann dann geheimtuerisch aus seinem Beutel zog, sah wirklich aus wie ein ganz ordinärer Kochtopf – nur etwas schwerer als üblich war er. Und genau diesen Kochtopf bot der Mann nun ausgerechnet mir an, dem zotteligen Hippietypen mit Rauschebart und Ringelhemd: Er sollte nur fünftausend Dollar kosten, war aber angeblich zwanzigtausend wert. Ein echtes Schnäppchen! Und was dachte ich engstirniger Traveller, der zum sechsten Mal in seinem Leben in Rangun war? „Ein Kochtopf aus Platin – das ist wirklich der größte Quatsch den ich je gehört habe!“. Und so entging mir womöglich das Geschäft meines Lebens! Ich lachte den Mann aus und ging meiner Wege.

Serivanijan-Jataka im Ananda-Kloster, Bagan: Der Bodhisatta checkt den Topf

Dabei hätte ich es besser wissen sollen: hatte nicht der Bodhisatta, der spätere Gautama Buddha, höchstpersönlich einen ganz ähnlichen Topf (der allerdings aus Gold) gegen wertloses Gerümpel und ein paar Kupfermünzen eingetauscht? So berichtet es jedenfalls die Serivanijan-Jataka, die im Ananda-Kloster in Bagan zu bewundern ist. Zwar hatte ich das Kloster schon besucht aber natürlich nichts von den Wandmalereien kapiert – das kam erst später. 

Hier kommt die Story: Einst wurde der Bodhisatta als dealer in pots and pans in in der Stadt Serivan inkarniert. Zusammen mit einem Kollegen klapperte er die Dörfer der Umgebung ab und verkaufte dort seine Waren. Wenn die beiden in einem der typischen Straßendörfer ankamen, teilten sie sich auf: einer arbeitete die rechts der Straße gelegenen Häuser ab, der andere die gegenüber liegende Seite. Dann trafen Sie sich an der Straße wieder und nun beackerten beide nochmals die vorher von dem Kollegen abgelaufene Seite. So kam es, dass der Kollege des Bodhisatta auf seiner Tour an einem ärmlichen Haus vorbei kam, in dem eine alte Frau mit ihrer Tochter wohnte. Beide waren früher einmal reich gewesen aber sie hatten durch unglückliche Umstände alles verloren und lebten in Armut. Nur ein alter verbeulter rußgeschwärzter Kochtopf war ihnen aus dem früheren Leben geblieben  – und 

der war mittlerweile schon recht löchrig geworden, sodass darin keine Speisen mehr zubereitet werden konnten. Als der Topfhändler vorüber kam, bat ihn die alte Frau herein und zeigte ihm den Topf mit der Bitte, ihn gegen einen neuen einzutauschen. „Einen alten gegen einen neuen Topf? Warum sollte ich das tun?“ fragte er. Die alte Frau begann zu weinen und so ließ er sich dazu herab, den Topf einmal genauer anzuschauen. Er kratzte am Boden und erbleichte – der Topf war aus purem Gold! 

Er ließ sich jedoch nichts anmerken und sagte zu der Frau: „Gut, ich tausche den Topf gegen einen neuen, kleineren, aber ihr müsst mir noch drei Kupferstücke dazu geben?“ – „Herr, wir haben überhaupt kein Geld! Seid doch barmherzig, nehmt den Topf und gebt uns einen neuen – wir haben schon drei Tage nichts Warmes mehr gegessen!“ . „Es sind doch nur drei Kupferstücke, die könnt ihr euch doch bei euren Nachbarn leihen! Ich komme nach einer Weile wieder, besorgt Euch inzwischen das Geld!“ war die barsche Antwort des Händlers, der sich seines Weges begab – natürlich mit dem festen Vorsatz, später den goldenen Topf mitzunehmen. Weinend blieben die beiden Frauen zurück. Aber der betrügerische Händler hatte seine Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn nicht viel später kam der Bodhisatta am Haus der Frauen vorbei. 

dto.: Unrecht Gut gedeihet nicht - das Ende des Betrügers

Sie klagten ihm ihr Leid und aus Mitleid schaute er sich ebenfalls den Topf an, kratzte am Boden und kam zu dem selben Ergebnis wie sein Kollege: der Topf war aus purem Gold! „Gute Frau!“ sagte er „dieser Topf ist aus purem Gold und weit mehr wert als alle Waren und das Bargeld, das ich bei mir habe. Ich wäre ein Betrüger, wenn ich dem Tauschgeschäft zustimmen würde!“. „Bitte, bitte!“ bettelte die alte Frau und nach langem Hin und Her ließ sich der Bodhisatta umstimmen: er übergab sämtliche Waren und sein gesamtes Bargeld (nur das Geld für die Fähre über den Fluss behielt er) den beiden Frauen, nahm den Topf machte sich auf den Heimweg, ohne auf seinen Kollegen zu warten.

Es dauerte nicht lange, bis der zum Haus der Frauen kam und fragte: „Na, habt ihr euch das Geld besorgen können?“ – „Du Betrüger!“ schimpfte die Alte, „Dein ehrlicher Kollege war gerade da und hat uns die Wahrheit gesagt! Verschwinde, bevor ich dich mit dem Besen aus dem Haus jage!“. Wutentbrannt warf der Betrüger seine Waren und sein gesamtes Geld auf den Boden und stampfte davon, um seinen Kollegen zur Rede zu stellen. Als er den Fluss erreichte, sah er den Bodhisatta in dessen Mitte auf dem Boot! Er schrie wie besessen dessen Namen und forderte ihn auf zurück zu kommen, doch der ignorierte ihn. ‚Das Herz des Betrügers ‚wurde heiß, Blut stürzte aus seinem Mund und sein Herz zerbrach wie der Lehm auf dem Boden eines ausgetrockneten Teiches…‘ Nur am Rande sei erwähnt, dass der Betrüger später als der Erzfeind des Erleuchteten, Devadatta, inkarniert wurde – und wieder scheiterte er an seiner Gier und fuhr zur Hölle. Ja, hätte ich diese Geschichte damals schon bekannt, wäre ich heute vermutlich ein reicher Mann. Aber ehrlich gesagt hatte ich damals auch keine fünftausend Dollar klein…

*Bodhisatta (Pali, Bodhisattva/Sanskrit) bedeutet ‚Erleuchtungswesen’ auf dem Pfad zu Buddhaschaft. Sie können in menschlicher oder Tiergestalt erscheinen. In der Regel haben sie den Beschluss gefasst, ein Buddha zu werden, und dieser wurde durch die Voraussage eines lebenden Buddha bestätigt.   

**Jataka (Geburtsgeschichten) sind die kanonischen Geschichten der Existenzen des historischen Buddhas Gotama (Sanskrit: Gautama), bevor er als Letzterer inkarniert wurde. In diesen Geschichten wird er als Bodhisatta (siehe oben) bezeichnet. Nach der Überlieferung hat es 547 dokumentierte kanonische Existenzen gegeben. 

Sie sind von sehr unterschiedlicher Länge und Ausführlichkeit. Die erste ist die ApannakaJataka, die von zwei Kaufleuten erzählt, die durch die Wüste reisen. Der Erste geht zugrunde, der Zweite hingegen (der Bodhisatta) erreicht aufgrund seiner Weisheit sicher das Ziel. Die letzte Jataka ist die des Königs Vessantara, der alles aufgibt und so großes Verdienst erwirbt, dass er als Gotama reinkarniert wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Zahl alle Existenzen des Bodhisatta umfasst. Daneben gibt es ungezählte weitere. Die jedoch nicht erfasst sind. Die Burmesen nennen eine Zahl von 550. Unter den drei zusätzlichen jatakas ist die des Einsiedlers Sumedha, dessen Bild in vielen Tempeln zu sehen ist.