Die Burmesen - positiv betrachtet
Faszination Myanmar
Myanmar lässt kaum einen Besucher kalt: Das war im 16. Jahrhundert nicht anders, als es im 20. war. Und wohl auch im 21. sein wird! In den vielen Jahren, die ich in dem Land gelebt habe und mit zahllosen Ausländern darüber gesprochen habe, gab es kaum einen, den es kalt gelassen hatte. Die meisten waren völlig fasziniert, aber einige hassten es geradezu: ‚Hier ist nichts los, keine Kneipen, kein Gesellschaftsleben, einfach öde! Und diese verlogenen, hinterlistigen Burmesen. Ich bin froh, wenn meine Zeit hier endlich vorbei ist!‘ – so höre ich gelegentlich von Expatriates. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen – ich möchte nirgendwo anders leben! Aber die Menschen sind nun einmal verschieden und jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.
Beginnend mit dem 16. Jahrhundert haben viele Europäer Myanmar oder Burma/Birma, wie es zwischenzeitlich auch genannt wurde, besucht und ihre Eindrücke festgehalten. Damit haben sie die Sicht derjenigen geprägt, die das Land nur vom Hörensagen kennen. Myanmar erscheint in den Berichten meist als ein fremdartiges Reich mit heiteren, freundlichen Bewohnern, die sich wenig Sorgen machen.
Ich unterscheide im folgenden zwischen drei Gruppen von Berichterstattern:
- diejenigen, die das Land lieben
- diejenigen, die es hassen
- diejenigen, die es auf eine Art lieben, aber nicht in der Lage sind, dessen Bewohner als gleichberechtigte, erwachsene Menschen zu akzeptieren …
Die Sicht der Burmesen auf sich selbst leitet dieses Kapitel ein, es folgt die Perspektive der anderen und dann geht es um Dinge wie den Verhaltenskodex Anade, Sprache, Essen und bestimmte Eigenheiten der Einwohner Myanmars
Wie schon in der Einleitung gesagt, überwiegen unter den Besuchern des Landes diejenigen, die sich positiv darüber geäußert haben.
Lucian SCHERMAN, der 1911 im Rahmen einer Reise durch British India ( zu dem Burma seinerzeit gehörte) dort war, schrieb in seinem Buch ‘Im Stromgebiet des Irrawaddy’: ‘Sorglosigkeit und unverwüstlicher Frohsinn sind die Charakterzüge, die den Birmanen am weitesten von seinen vorderindischen Nachbarn abrücken lassen. Der Hang zur Grübelei, zum Spekulieren … gönnt dem Volke keinen leichten Sinn, keine harmlose Heiterkeit; bei seinen Festen wie bei seiner Arbeit nimmt der Inder alles ernst. Kein Wunder also, dass uns, kommen wir von Indien nach Birma, die offene Art der Landeskinder so wohltuend berührt. Jedem Besucher steht der Zutritt ins Haus offen; gastfreundlich wird er überall empfangen, ohne die zudringliche Neugier, mit der der Fremdling in Indien – beinahe wie im zivilisierten Europa – verfolgt wird.’
Sir James George Scott alias SHWAY YOE, dessen 1882 erschienenes Werk ‘The Burman: His Life and Notions’ meines Erachtens das beste Buch ist, das je über Myanmar geschrieben wurde, ergeht sich in wahren Lobeshymnen über die Burmesen: ‘Wenn jemand dem Fluch des Adam entkommen ist, dann der Burmese. Er braucht sein Brot nicht im Schweiße seines Angesichts zu erwerben, Reichtümer haben keine anziehende Wirkung auf ihn. Wenn er sein Feld abgeerntet hat, ist seine einzige Sorge, die Zeit zu verbringen, was ihm nicht schwerfällt, hat er genug Cheroots und Betel zur Verfügung.’ (The Burman, S. 67, Übersetzung von Dr. Uta Gärtner, Berlin).
Diese Eigenart hat viele Besucher – bis in die heutige Zeit – auf der einen Seite fasziniert, auf der anderen befremdet: Wieso machen die Burmesen nicht mehr aus ihrem Leben? Man könnte doch… Ja, das könnte man – aber dann wären sie nicht mehr so, wie sie halt nun einmal sind. Dazu passt Folgendes: Betreffend der von den Europäern oft als faul bezeichneten Landeskinder zitiert Maung Maung (Law and Custom in Burma, 1963, S. 46) den britischen Beamten Thirkell White (’A Civil Servant in Burma’, 1913): ‘… Doch wenn es die Situation erfordert, arbeitet der Burmese so hart wie andere auch. Der Bauer und der Fischer haben Zeiten, in denen sie sehr zeitig aufstehen müssen und erst spät zur Ruhe kommen. Was der Burmese nicht möchte, ist, Plage zum Vergnügen zu erklären, nur zu arbeiten, um etwas zu tun bzw. um Reichtümer über seine Bedürfnisse hinaus anzuhäufen. … Fortschritt und Emsigkeit an sich üben auf ihn keine Anziehungskraft aus. Wir versuchen, ihn unsere Ideale zu lehren, ihm zu zeigen, wie überlegen unsere Zivilisation ist. Wenn uns das gelingt, werden wir das schönste Land und die reizendsten Menschen zugrundegerichtet haben.’ (Übersetzung Dr. Uta Gärtner, Berlin).
Caroline COURTAULD (‚In search of Burma‘) beschreibt Myanmar als ein Land ‚… von höflichem Desinteresse an der Außenwelt, in dem die meisten nach Einheit mit Buddha streben‘. Was für ein Unterschied zu unserer westlichen Kultur der ‚Einmischung‘ auch in die Angelegenheiten der Völker in den abgelegensten Winkeln der Welt. Des dauernden Bemühens, zu allem und jedem eine Meinung zu haben, alles bewerten und beurteilen zu müssen. Es ist keineswegs so, dass es den Burmesen egal wäre, wenn irgendwo auf der Welt Menschen leiden müssen – aber sie machen es nicht zu ihrer eigenen Angelegenheit! Als 2008 der Zyklon Nargis einen Teil des Ayeyarwady-Deltas verwüstete, kamen aus dem ganzen Land Helfer mit Lkws, die den in Not geratenen Landsleuten Hilfe leisteten. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse ihrer Zufriedenheit, sich zu fragen: ‚Betrifft mich das persönlich?‘ – und wenn dies nicht der Fall ist, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Für mich selbst kann ich jedenfalls sagen, dass ich erheblich ruhiger und entspannter lebe, seitdem ich dem Beispiel meiner Gastgeber folge. Und nicht mehr der Illusion nachhänge, dass mich alle Dinge, die auf der Welt schief laufen, irgendetwas angingen.
Ich verzichte hier darauf, weitere Lobeshymnen auf die Burmesen anzustimmen, wovon es sehr, sehr viele gibt. Viel interessanter sind diejenigen, die eine gegenteilige Meinung vertreten. Unter ihnen nimmt FATHER SANGERMANO eine herausragende Stellung ein. Auch GEORGE ORWELL gingen die Burmesen teilweise ganz schön auf die Nerven (s.a.a.O.)
Und dann sind da noch diejenigen, die die Burmesen zwar mögen, aber irgendwie nicht akzeptieren wollen (oder können), dass es sich bei ihnen um erwachsene Menschen handelt, die durchaus in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen. Und nicht der Hilfe von Frau EMMA LARKIN oder des Herrn RAMBO bedürfen … Die haben zwar grundsätzlich Sympathien für die Burmesen, lehnen aber die Regierung strikt ab. Mir scheint manchmal, dass einige Leute glauben, ihre Liebe für das Land durch die Intensität ihres Hasses auf die Regierung manifestieren zu können. Die Regierung wird von ihnen als eine Gruppe quasi Außerirdischer betrachtet, die das ‘Lieblingsland Buddhas’ in Geiselhaft genommen haben und die lieben Burmesen unterdrücken. In Wirklichkeit kommen sie aus der Mitte der Gesellschaft und sind ebenso burmesisch wie ihre Mitbürger mit all ihren kleinen Mängeln und Unzulänglichkeiten. Nur haben sie die Waffen und das macht den Unterschied aus.
Eines ist unbedingt zu beachten: Wenn hier von Burmesen die Rede ist, betrifft das – so nicht ausdrücklich erwähnt – immer die Angehörigen des Mehrheitsvolkes im Lande, das sich selbst Bamar nennt. Das restliche Drittel der Bevölkerung setzt sich aus über hundert verschiedenen Ethnien zusammen, die sich nicht nur von Ersteren, sondern auch untereinander stark unterscheiden. Ein Shan hat wenig mit einem Chin gemeinsam, ebenso ein Kachin mit einem Mon – um nur zwei Beispiele zu nennen.